Die Städtische Altertümersammlung in Villingen war eine wahre Kunst- und Wunderkammer: Gesammelt wurde, was kurios und interessant schien, egal ob es mit der Stadtgeschichte zu tun hatte oder nicht. Neben Relikten wie der angeblichen Hellebarde von Romäus (eine Fälschung) und allerlei Folterwerkzeugen der frühen Neuzeit (wohl keine Fälschungen) fand auch eine Reihe von Objekten aus Übersee, sogenannte „Exotica“ oder „Curiosa“, ihren Weg nach Villingen.

Zu diesen Objekten gehören zwei Holzskulpturen, die heute in der Dauerausstellung im Kapitelsaal zu sehen sind. Die aus Wurzelholz geschnitzten Figuren mit asiatischer Physiognomie stehen in einer tänzerisch anmutenden Bewegung auf einem Bein und sind symmetrisch aufeinander bezogen. Ihre Schädel sind kahlrasiert, nur Stirnreife schmücken die Köpfe, und ein fellartiges, bauschiges Gewand bedeckt die Körper.

„Amerikanische Holzschnitzer-Arbeiten“, vermerkten die Sammler im Altertümerrepertorium, „Schenkung von Max Distel aus St. Louis“. Tatsächlich handelt es sich jedoch um chinesische Figuren, die einen der acht Unsterblichen (Bâxiân), Heilige aus der chinesischen Mythologie, darstellen. Die Machart  verweist in die späte Qing-Dynastie (19. Jh.). Eine genaue Identifikation ist schwierig, denn eindeutige Attribute fehlen, wohl auch aufgrund der Beschädigungen an den Händen. Eine der Figuren hält eine Kugel, bei der es sich um den unteren Teil eines Flaschenkürbisses handeln könnte. Sie würde demnach den Unsterblichen Li Tieguai darstellen. Der Legende nach konnte Li nach einer Seelenwanderung nicht mehr in seinen Körper zurückkehren, weil dieser zwischenzeitlich verbrannt worden war. Er bewohnte daraufhin den Körper eines toten Bettlers und kümmerte sich um die Kranken und Schwachen, die er mit Medizin aus seinem Flaschenkürbis versorgte. Zu dieser Deutung passen auch die erhobenen Beine der Figuren, denn der Bettler, dessen Körper Li Tieguai bewohnte, besaß ein gelähmtes Bein, was ikonographisch oft durch ein gestrecktes und ein gebeugtes Bein dargestellt wurde.

Der Schenker der Figuren, Max Distel, war ein gebürtiger Villinger, der 1881 nach Nordamerika ausgewandert war und sich schließlich in St. Louis niedergelassen hatte. Seiner Heimatstadt treu verbunden, überließ er die Figuren 1885 der Altertümersammlung, wohl ohne selbst zu wissen, was es mit ihnen auf sich hatte. St. Louis besaß zu dieser Zeit eine kleine Gemeinschaft von etwa 300 chinesischen Migranten, die als Fabrikarbeiter angeworben worden waren. Der erste chinesische Siedler war 1857 in die Stadt gekommen, 1869 folgte eine große Einwanderungswelle, ein Jahr später die nächste. An der sogenannten „Hop Alley“ entstand ein florierendes Chinatown, das 1966 einem Sportstadium Platz machen musste. Vermutlich hatte einer der chinesischen Einwanderer die Figuren aus seiner Heimat mitgebracht – auf welchem Wege sie in den Besitz Distels kam, wissen wir nicht.

Die beiden Unsterblichen haben demnach eine lange Reise hinter sich: Von China nach St. Louis bis Villingen haben sie etwa 18.000 km zurückgelegt und sind einmal über beide großen Ozeane gereist. Es dürfte sich damit um die am weitesten gereisten Objekte in den Sammlungen der Städtischen Museen handeln.