Der Verein für Heimatkunde, der in Schwenningen ab 1921 das Heimatmuseum initiierte, bestand maßgeblich aus Industriellen und leitenden Mitarbeitern aus der Uhrenindustrie. Vereinsvorsitzender war der Arzt Dr. Hermann Etter, ein Schwiegersohn von Jacob Mauthe und Mitglied des Aufsichtsrats der Firma. Wichtigster „Museumsmacher“ war der Betriebsleiter von Mauthe, Jakob Hanßmann. Die Mitgliederliste strotzt nur so vor „Fabrikanten“.

Erst 1931 konnte das Heimatmuseum am jetzigen Ort seine Dauerausstellung eröffnen. Fotos dieser Ersteinrichtung mit äußerst bescheidenen Mitteln belegen, dass keineswegs nur die bäuerliche und handwerkliche Geschichte Schwenningens gezeigt wurde.

Uhrenraum im Heimatmuseum ca. 1931

In einem Uhrenraum stand z.B. ein Tisch mit Exponaten aus der aktuellen Uhren- bzw. Zähler-Produktion.  Arrangiert wurden die neuen Produkte wie Opfergaben am Altar beim Erntedankfest. Dabei bilden die handwerklichen Uhren an den Wänden den inhaltlichen Bezugsrahmen. Ich denke, man darf das Arrangement durchaus als Dank und Huldigung der industriellen Gegenwart an die handwerklichen Vorgänger, an den Ort Schwenningen mit seiner spezifischen Geschichte verstehen, als eine Art Versöhnungsgeste zwischen Industrie und Handwerk, Moderne und Tradition. Die Geste hatte möglicherweise einen sehr handfesten gesellschaftspolitischen Hintergrund. Kurz vor der Machtübernahme der Nazis war man in Schwenningens offiziellem Kulturleben allerorten darauf aus, die Spaltung der Gesellschaft in rechts und links, in sentimentale Bauern- und Handwerker-Sehnsucht und kompromisslose Fortschrittsgläubigkeit zu verhindern. Entgegengesetzt wurde dem eine „kommunalistische Vision vom guten Leben“ (Celia Applegate), die vor allem Gemeinschaftlichkeit betonte. Es kam dann leider komplett anders und nach 1933 stellte das Schwenninger Heimatmuseum seine Aktivitäten so gut wie völlig ein.  Paradoxerweise hat das Heimat- und Uhrenmuseum erst 1950 seine ganz auf die bäuerliche Vergangenheit Schwenningens beschränkte Dauerausstellung erhalten. Seither ist es nicht mehr neu konzipiert worden. In mehr als einer Hinsicht ist es vollkommen veraltet und hat keine kulturpolitische Relevanz mehr.

Die Frühgeschichte des Museums, aber auch die möglichen künftigen Ausstellungsthemen eines neuen Museumskomplexes auf dem Areal der Württembergischen Uhrenfabrik ermöglichen die überaus reizvolle Gelegenheit, das Verhältnis von Industrie und Museum in Villingen-Schwenningen, aber auch generell, neu zu denken.

Ein erstes Projekt in diese Richtung ist die Ausstellung „Hidden Champions. Industrie in Villingen-Schwenningen“, die vom 20. Mai bis zum 24. September 2017 im Uhrenindustriemuseum gezeigt wird. Wie konnte es kommen, dass Industrie heute so „hidden“, so verborgen ist? Hidden sind ihre Produkte wie die Dosierspender von Aptar, die jeder in der Hand hat, von denen aber niemand weiß, wer sie wo produziert hat, oder wie die Magnete von Kendrion, die in jedem Dieselmotor versteckt sind. Das liegt in der Natur heutigen Produzierens. Hidden sind aber auch die Unternehmen im kollektiven Bewusstsein der Stadtgesellschaft, obwohl ihnen viele Menschen ihre Arbeitsplätze verdanken und sie der Stadt verlässliche Steuereinnahmen bescheren. Hidden ist allgemein meiner Meinung nach viel zu stark, dass es nach dem Ende der Uhrenindustrie mit der Industrie ja erfolgreich weitergegangen ist, dass hier die höchste Industriedichte im ohnehin stark industrialisierten Baden-Württemberg nach der Region Stuttgart ist. Ich finde, das ist nicht gut für Villingen-Schwenningen. Ich finde, hier hat das Museum die gesellschaftliche Funktion und die Kompetenz, die Hidden Champions ins Blickfeld zu rücken. Das ließe sich in einem neuen Museumskomplex durchaus verstetigen, etwa in einer ständig aktuell gehaltenen Ausstellungsabteilung mit innovativen Produkten.

 

Dosierspender von Aptar
Blick in die Ausstellung Hidden Champions, im Vordergrund Daimler Dieselmotor mit Bestandteilen von Kendrion