In Schwenningen könnte auf dem Gelände der ehemaligen Württembergischen Uhrenfabrik in der Bürkstraße, also am Standort des heutigen Uhrenindustriemuseums, ein neuer Museumskomplex entstehen. Das schlagen übereinstimmend eine Stärken- und Schwächenanalyse der bestehenden Schwenninger Institutionen Uhrenindustriemuseum, Heimat- und Uhrenmuseum und Städtische Galerie sowie eine architektonische Machbarkeitsstudie vor. Das Vorhaben begrüßt auch der Gemeinderat. Zur Finanzierung sind die Kulturverantwortlichen aufgerufen, Mittel und Wege zu finden, um den städtischen Haushalt nicht zu belasten.

Stadtgeschichte und Uhrenindustriegeschichte gehören zusammen

Mal ehrlich: Können Sie die verwirrenden Museumsnamen „Heimat- und Uhrenmuseum“ und „Uhrenindustriemuseum“ auseinander halten? Viele können das nicht, erst recht nicht, wenn sie von außerhalb kommen. So ist es schon gewohnte Routine, wenn eine angemeldete Gruppe mal wieder nicht pünktlich zu einer Führung erscheint, im jeweils anderen Haus nachzufragen, ob sie nicht im „falschen“ Museum gelandet ist.

Hellmut-Kienzle-Uhrensammlung im Heimat- und Uhrenmuseum

Auch inhaltlich gehen die Ausstellungsabteilungen ineinander über. Nur ein Beispiel: Die Uhren der Firma Kienzle sind im Uhrenindustriemuseum ausgestellt, die historische Uhrensammlung derselben Firma im Heimat- und Uhrenmuseum. Wieviel runder würde die Erzählung, wenn beide zusammengeführt werden könnten. Auch die Trennung von handwerklicher und industrieller Uhrenproduktion verunmöglicht, die historischen Zusammenhänge aufzuzeigen.

Noch wesentlicher ist, dass in beiden Museen bisher die Stadtgeschichte nicht wirklich vorkommt: Im Heimat- und Uhrenmuseum wird Schwenningen auf eine idealisierte und ahistorisch konstruierte bäuerliche Vergangenheit reduziert. Im Uhrenindustriemuseum gibt es zwar nicht nur Uhren und Maschinen sondern auch hervorragend aufbereitete Informationen über die Sozialgeschichte der Uhrenindustrie, aber keine über die Stadt als solche. Diese großen Lücken gilt es, zu schließen.

Gegenwart und Zukunft sollen den Blick zurück ergänzen

Das Bauerndorf Schwenningen ist definitiv Geschichte, die Uhrenindustriestadt Schwenningen auch. Villingen-Schwenningen entwickelt sich aber weiter, ist auch heute ein erfolgreicher Industriestandort, nur mit einer ganz anderen Struktur, bietet ein Zuhause für Menschen aus mehr als 135 Nationen. Die Vernetzung mit der ganzen Welt in der aktuellen Industrieproduktion, die Vielfalt und der Reichtum der Kulturen vor Ort: Auch das gilt es in einem neuen Museumskomplex zu zeigen.

  Ein Haus für alle

Kultur ist das, was eine Gesellschaft zusammenhält. Es braucht Orte, an dem sich die gegenwärtige Stadtgesellschaft wiederfinden kann, begegnen, kennenlernen, austauschen. Die reale Vielfalt muss in der Kultur sichtbar, spürbar und erlebbar werden. Das ist die aktuelle, gesellschaftlich hochrelevante Aufgabe von Stadtmuseen. Auf dem Bürk-Areal könnte sie verwirklicht werden.

Ein Haus der Kreativität und der Innovation

Freiheit, Offenheit, herrschaftsfreie, nicht kommerzielle Spielräume mit hoher Aneignungsfähigkeit machen eine Stadt attraktiv und lebenswert. Kreativität und Innovationskraft sind auch in der Industrieproduktion des deutschen Südwestens die entscheidenden Erfolgsfaktoren. Ein Museum, erst recht in Kombination mit einer Galerie für zeitgenössische Kunst, erfüllt als öffentlicher Raum alle Voraussetzungen, um sich zu einem solchen offenen Ort zu entwickeln.

Städtebauliche Dimension

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Die erweiterte kulturelle Nutzung des Baudenkmals Württembergische Uhrenfabrik setzt die bisher oftmals nur als funktionslos gewordene Reste wahrgenommenen Zeugnisse der Schwenninger Industriekultur als identitätsstiftende Faktoren in Wert.

Für die Stadtentwicklung kann der neue Ausstellungskomplex eine weit über den eigentlichen Standort hinausreichende Ausstrahlung haben: Er verbindet die Innenstadt über das landwirtschaftlich-vorindustriell geprägte Denkmalensemble „Ob dem Brückle“ mit einer Inkunabel der Schwenninger Industriearchitektur inklusive der zugehörigen Fabrikantenvilla und macht so die Geschichte Schwenningens schon vor dem Betreten des Museums auf einzigartige Weise räumlich erlebbar.

Eine zeichensetzende, atmosphärisch dichte Architektur zusammen mit einer attraktiven Museumsgestaltung kann eine Vorreiterrolle zur Förderung von städtebaulicher Qualität spielen und auch privaten Investoren als Ansporn dienen.

Hoher Investitonsbedarf im Heimat- und Uhrenmuseum

Das Heimat- und Uhrenmuseum in Schwenningen ist aufgrund von Brandschutzproblemen zurzeit nur sehr eingeschränkt zugänglich.

Die Dauerausstellung des Museums, die seit der Ersteinrichtung 1931 besteht und in manchen Bereichen kaum, in anderen zuletzt 1966 erneuert wurde, ist nicht mehr zeitgemäß. Ein Museum für die völlig veränderte Stadtgesellschaft des 21. Jahrhunderts ist das Heimat- und Uhrenmuseum nicht, was sich auch in den geringen Besuchszahlen ausdrückt. Eine Neukonzeption der Dauerausstellung ist dringend geboten.

Die Maßnahmen zu einer brandschutztechnischen und einer damit einhergehenden baulichen Sanierung des Heimat- und Uhrenmuseums werden auf ca. zwei Millionen Euro geschätzt. Angesichts dieser hohen Kosten gilt es, Alternativen zu prüfen.

Zusammenlegung sichert Zukunft

Die zentralen Aussagen einer Stärken / Schwächen-Analyse der Museen und der Galerie durch Dr. Bettina Keß, kulturplan, Würzburg, lauten:

  • „Während der Stadtbezirk Villingen bereits einen starken Museumsstandort, das Franziskanermuseum (mit Altem Rathaus) besitzt, hat der Stadtbezirk Schwenningen derzeit drei museale Institutionen“, die „mit ihrer momentanen personellen und/oder finanziellen Ausstattung … lang- und sogar mittelfristig nicht lebensfähig“ sind.
  • Das Gutachten empfiehlt, „einen zweiten starken Museumsstandort in Schwenningen zu schaffen und damit die gesamte Museumslandschaft der Doppelstadt schrittweise zu bündeln“.
  • „Aus dem Uhrenindustriemuseum und dem Heimat- und Uhrenmuseum wird am Standort des Uhrenindustriemuseums … ein neu konzipiertes zentrales ‚Museum für Schwenningen‘ (Arbeitstitel) … Der Standort des Heimat- und Uhrenmuseums … wird aufgegeben.“
  • „Bei dieser Konzentrierung und Stärkung der Museumsstandorte sollte auch die Städtische Galerie Villingen-Schwenningen einbezogen werden, die aus konzeptionellen und räumlichen Gründen an beiden Standorten denkbar ist.“

Machbarkeitsstudie Bürk-Areal

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Die Zusammenführung von Heimat- und Uhrenmuseum, Uhrenindustriemuseum sowie der Städtischen Galerie auf dem Gelände der ehemaligen Württembergischen Uhrenfabrik in der Bürkstraße wurde durch eine Machbarkeitsstudie des Architektur- und Museumsgestalterbüros space4, Stuttgart, konkretisiert, das die städtebaulichen, architektonischen, gestalterischen und nicht zuletzt finanziellen Aspekte geprüft hat.

Ergebnis ist, dass die Unterbringung von Heimatmuseum und Galerie durch einen Neubau im Hof des Bürk-Areals über dem aus dem 2. Weltkrieg stammenden Luftschutzkeller und der derzeit als Parkplatz genutzten Sheddachhalle möglich ist. Der Anschluss an das derzeitige Uhrenindustriemuseum und das Kesselhaus kann durch eine bestehende unterirdische Erschließung erfolgen. Die bisherigen weiteren Nutzungen des Gebäudekomplexes als Wohnungen und Veranstaltungsraum können uneingeschränkt bestehen bleiben.