Das Repertorium der Altertümersammlung – das erste museale Inventarverzeichnis Villingens – ist ein faszinierendes Dokument. Neben knappen Angaben zu den erworbenen Objekten finden sich in dem 1876 begonnenen Register auch Anekdoten, Berichte, Erläuterungen und sogar Lieder zu verschiedenen Aspekten der Villinger Geschichte: Eine wahre Fundgrube für die sammlungsgeschichtliche Forschung!

Als besonders interessant erweist sich dabei ein Blick auf die Schenker, Verkäufer und Leihgeber, deren Namen und Wohnorte in vielen Fällen vermerkt sind. Wer waren diese Leute, welche Objekte sammelten sie und warum, und welche Motivationen standen hinter der Abgabe? Das Potenzial dieser „Provenienzforschung“ soll anhand der drei sicher als Juden zu identifizierenden Vorbesitzer aufgezeigt werden: Max Wolf, Hermann Bernheimer und Leopold Guggenheim, die allesamt aus Gailingen stammten.

Ansichtskarte von Gailingen um 1900. Unten rechts das Kriegerdenkmal, dahinter die Synagoge. (Quelle: Alemannia Judaica)

In Gailingen befand sich seit dem 17. Jahrhundert eine bedeutende jüdische Gemeinde, die um die Mitte des 19. Jahrhunderts sogar mehr als die Hälfte der Gesamtbevölkerung stellte (1858: 996 jüdische Bürger von insgesamt 1978). Seit 1827 bestand dort außerdem ein badisches Bezirksrabbinat, das 1925 nach Konstanz verlegt wurde. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wanderten viele jüdische Familien ab, eine weitere Auswanderungswelle folgte unter den Repressalien der NS-Zeit. 210 Personen wurden schließlich deportiert, die meisten davon am 22. Oktober 1940 nach Südfrankreich. Die 1836 erbaute Synagoge wurde beim Novemberpogrom am 10. November 1938 zerstört, heute erinnert eine Installation an ihren ehemaligen Standort. Dank der umfangreichen Forschungen des Vereins für jüdische Geschichte Gailingen, der auch das dortige Jüdische Museum betreibt, konnten zumindest zwei der Geber mit hoher Wahrscheinlichkeit identifiziert werden.

Max Wolf

Von Max Wolf stammen über 20 Objekte, die allesamt käuflich erworben wurden. Was die Sammler an ihnen reizte, ist zum Teil schwer nachzuvollziehen. Die meisten besitzen keinen lokal- oder regionalhistorischen Wert, sondern sind lediglich kunsthandwerklich attraktive Antiquitäten unbekannter Herkunft (u.a. Waffen, Porzellan und Kleidungsstücke). In ihnen spiegelt sich somit die Heterogenität dieser Sammlung, die in mancher Hinsicht eher an frühe „Kunst- und Wunderkammern“ erinnert statt an den selbst formulierten Anspruch, „das specifisch „Villingische“ und Umgebung“ zu repräsentieren.

„1479 Eine römische Lampe, mit Grünspan überzogen, Kauf M 5,50“

Der Name Max Wolf oder Wolff ist in Gailingen nicht belegt. Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit verbirgt sich dahinter jedoch Mathias Baruch Wolf, der am 25. Oktober 1841 in Gailingen als Sohn des Baruch Wolf und der Friedrika Neuburger geboren wurde und am 12. April 1907 gestorben ist. Er war mit Babette Wyler aus Endingen verheiratet und hatte mit ihr mindestens einen Sohn William, der in Immendingen geboren wurde. Sein Grabstein, auf dem er auch als „Max Wolf“ bezeichnet wird, befindet sich noch heute auf dem dortigen jüdischen Friedhof. Darauf werden auch seine Todesumstände und sein Charakter näher beschrieben: „Er ging auf seinem Weg zu seinen Geschäften, und zu seinem Haus kehrte er nicht zurück, denn Gott nahm ihn plötzlich zu sich, und er war ein geradsinniger Mann, und vom Bösen hielt er sich fern, gest. am 2. Neumondtag Ijar 667 L“. Bereits 8 Jahre zuvor, am 30. September 1899 war seine Frau Babette gestorben. Sein Sohn William ging später nach Basel, wo dessen Tochter geboren wurde – Max Wolfs Enkelin – die im Alter von nur einem Jahr starb.

Jüdischer Friedhof in Gailingen (Foto: Gruschke, Wikipedia, CC BY-SA 4.0)

In den offiziellen Registern wird Wolf als „Handelsmann“ geführt – die häufigste Berufsbezeichnung von Juden im 19. Jahrhundert. Was konkret darunter zu verstehen ist, kann stark variieren und reicht vom armen Hausierer bis zum vermögenden Ladeninhaber. Über seine soziale Stellung ist somit wenig ausgesagt. Indirekte Hinweise ergeben sich aus der Art und dem Wert der verkauften Objekte: Offenbar gehörte der Handel mit Antiquitäten im niedrigen und mittleren Preissegment zu seinem Geschäft. Der Gesamtwert der an die Altertümersammlung verkauften Objekte beläuft sich auf mindestens 102 Mark, umgerechnet nach heutiger Kaufkraft etwa 700 Euro. Auch an andere museale Sammlungen verkaufte er Objekte, so etwa das Inventar eines römischen Grabes aus Emmingen, das die fürstlich-fürstenbergischen Sammlungen von ihm erwarben. Anscheinend hatte er sich als Antiquitätenhändler auf der Baar einen Namen gemacht.

Hermann Bernheimer

Hermann Bernheimer wurde am 3. August 1846 in Gailingen geboren und ist am 10. April 1881 gestorben. Über ihn ist relativ wenig bekannt. Verheiratet war er mit Rosa Picard aus Wangen am Untersee, mit der er drei Kinder hatte: Isidor, Miltan und Herman, der aber erst vier Monate nach dem Tod des Vaters zur Welt kam. Die Umstände seines frühen Todes sind nicht dokumentiert.

Von Bernheimer kamen die einzigen eindeutig jüdischen Objekte:

822 Ein Silberling „Heil Jerusalem“ Blei Abdruck, Schenkung
882 Drei kleine Leinwand Streifen mit eingenähten hebräischen Sprüchen (aus einer Synagoge), Schenkung

Außerdem ein Buch, das aus dem Villinger Kapuzinerkloster stammte:

883 Sparelli, Schutz Mantel Maria, in 52 Wundergeschichten. Sulzburg 1779, Schenkung

Das Buch könnte nach der Aufhebung des Klosters 1806 verkauft worden sein und ist anschließend in Bernheimers Besitz gelangt. Auch er war „Handelsmann“, doch da es sich bei allen Objekten um Schenkungen handelte, standen hier keine wirtschaftlichen Interessen im Vordergrund. Vielleicht fühlte er sich vom öffentlichen Sammlungsaufruf im Jahre 1878 angesprochen:

„Indem wir somit an den Patriotismus unserer Mitbürger appeliren, richten wir an alle Besitzer bezüglicher Gegenstände die dringende Bitte, unser Bestreben zu unterstützen und das beabsichtigte Unternehmen zur Ehre unserer Vaterstadt zu ermöglichen.“

Sein uneigennütziges Handeln konterkariert jedenfalls die oft antisemitisch konnotierten Erzählungen über „gewinnsüchtige Händler“, die sich des Villinger Kulturbesitzes nach den Klosterauflösungen bemächtigt hätten.

Leopold Guggenheim

Am schwierigsten ist die Identifizierung von Leopold Guggenheim, von dem die Altertümersammlung einen „Zinnteller mit den Wappen von 13 Schweizer Cantonen“ für den Preis von 6,00 Mark erwarb. Der prominenteste Kandidat mit diesem Namen ist sicherlich Leopold Hirsch Guggenheim, von 1870 bis 1884 Bürgermeister von Gailingen. Dessen Wahl war seinerzeit geradezu eine Sensation, denn er war der erste jüdische Bürgermeister einer so großen Gemeinde. Daneben lebten im fraglichen Zeitraum jedoch noch weitere Gugenheims mit dem Vornamen Leopold: Leopold Jakob, Leopold Joseph und Leopold Salamon. Um den Bürgermeister wird es sich wohl nicht gehandelt haben, denn andernorts im Repertorium werden solche Würdenträger entsprechend gekennzeichnet, so zum Beispiel der „Bürgermeister Hils in Fischbach“. Mangels näherer Informationen muss Leopold Guggenheim daher unidentifiziert bleiben.

Schenker, Leihgeber und Verkäufer aus Gemeinden außerhalb der unmittelbaren Umgebung Villingens sind im Repertorium keine Seltenheit. Das Einzugsgebiet, soweit es sich aus den Notizen rekonstrieren lässt, erstreckt sich über weite Teile Badens. In der Regel kamen jedoch nur einzelne Personen aus diesen Orten, und oft waren sie wohl familiär mit Villingen verbunden. Dass gleich drei jüdische Personen aus Gailingen vertreten sind, ist also zumindest auffällig. Kontakte zwischen den jüdischen Communitys der beiden Städte dürfen jedenfalls angenommen werden, denn die Villinger Gemeinde gehörte zum Gailinger Rabbinat und viele der hier lebenden Juden waren aus Gailingen zugezogen. Wie die Kontakte zwischen Sammlern und Gebern konkret zustande kamen, lässt sich aber leider nur noch in den seltensten Fällen rekonstruieren.

Mehr Hintergründe in der Museums-App

Das Repertorium spielt auch eine wichtige Rolle im neuen Audioguide zur stadtgeschichtlichen Sammlung, der die Guides zum Magdalenenberg und zur Schwarzwaldsammlung in der kostenlosen Museums-App ergänzt. Die zahlreichen neuen Informationen, die unter anderem aus einer genauen Auswertung des Repertoriums gewonnen werden konnten, gehen über die bestehenden Ausstellungstexte hinaus und zeigen somit auch altbekannte Exponate in ganz neuem Licht. Eine der Stationen ist die oben gezeigte römische Öllampe von Max Wolf. Schaut (und horcht) doch mal rein!

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