Der Hut der Gutacher Tracht ist zum Symbol geworden, nicht nur für die wenigen Orte im Schwarzwald, wo er getragen wird: Gutach, Kirnbach und Hornberg-Reichenbach. Er steht meist für den Schwarzwald allgemein, manchmal auch für Baden-Württemberg oder sogar für ganz Deutschland. Hierdurch hat er einen Bekanntheitsgrad erreicht, der dem der Schwarzwälder Kirschtorte gleicht. Böse Zungen behaupten, die Kirschtorte, die ebenfalls rote Bollen (Kirschen) auf weißem Grund (Sahne) präsentiert, sei vom Trachtenhut inspiriert. Wie aber kommen die Bollen auf den Strohhut?

Die Göttin ganz links, wohl Demeter, trägt auf dem Deckenfresko des Teepavillons auf Schloss Meersburg einen Strohhut mit echten Blüten und Getreideähren. Foto: privat, Copyright: Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg

Rosenhut

Der Bollenhut war ursprünglich ein Rosenhut und wird manchmal auch heute noch so genannt. Diese Bezeichnung führt auf die richtige Spur, denn in der Tat wurden früher nicht nur Frisuren, sondern auch Hüte mit echten Blumen verziert. Was aber tun, wenn es keine Blumen gibt, z.B. im mitteleuropäischen Winter? In den Zeiten, in denen früher saisonbedingt keine echten Blumen zur Verfügung standen, fertigte man künstliche. Das Anfertigen „unverwelkbarer Flora“ ist schon für die Antike überliefert. Eine Anekdote berichtet den Besuch der Königin von Saba beim weisen König Salomon. Die Königin habe ihn mit Rätselfragen prüfen wollen. Unter anderem sollte er aus einem Strauß Lilien die echten von den falschen unterscheiden. Nur aufgrund des Augenscheins war dies nicht möglich. Salomon beobachtete jedoch eine Biene, die sich nicht irritieren ließ. ..

Das Kunsthandwerk des Blumenmachens wurde im Mittelalter häufig von Nonnen ausgeübt, entwickelte sich jedoch besonders stark im 18. Jahrhundert, im Zeitalter des Rokoko. Die damals üblichen hohen Frisuren der Damen und die Bekleidungsmode verlangten reichlichen Blumenschmuck. Die Pariser Blumenmädchen lieferten die Stoffblumen in der Zeit von November bis Mai. Als Grundmaterial verwendeten sie Seidenabfälle. Mit Ausschlag- und Stanzeisen wurden die verschiedenen Blütenblätter imitiert. Diese täuschend echten Blüten wurden als Luxusartikel gehandelt. Nur Aristokraten und reiche Bürger konnten sie sich leisten. Die begehrteste unter den Imitaten war – wie in der echten Blütenwelt – die Rose.

Rosenhut unserer Diplomrestauratorin Ina Sahl bei der Eröffnung der Ausstellung „Moden. Schwarzwälder und andere Hüte“ im Franziskanermuseum 2015. Foto: Michael Kienzler.

Ersatz des Ersatzes

Schwer vorstellbar, dass ein solches Luxusgut einen einfachen, bäuerlichen Strohhut schmücken sollte. Strohhüte wurden von der arbeitenden Bevölkerung getragen, weil sie die einzige Möglichkeit waren, sich vor starkem Sonnenschein zu schützen (daher auch Schinhuet genannt). Die Grundform des Stohhuts wird daher auch als Bergère bezeichnet, als „Hirtin“ oder eher Hirtinnenhut. Bekannt sind die „Schäferspiele“ der aristokratischen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts. Zum Zweck erotischen Vergnügens verkleidete man sich als Schäfer und Schäferin. So kam es, dass Strohhüte beim Adel in Mode kamen und zwar als Teil der informellen, der – weniger reglementierten – „Freizeit-Kleidung“.  Modischer Wechsel entsteht historisch zunächst in Ballungsräumen (Städten), in denen mit Kleidung  sozial kommuniziert und konkurriert wird: Eine modische Neuheit verbreitet sich durch Nachahmung von der Gesellschaftsspitze nach unten. Dort angekommen wird sie für die Oberen Schichten untragbar. Eine neue Innovation wird benötigt usf. So wird der ursprünglich bäuerliche, dann „geadelte“ Strohhut Vorbild für die Bürger, später wieder die bäuerliche Bevölkerung. Hinzu kommt, dass die Obrigkeit das Strohflechten als Mittel zur Bekämpfung der Armut entdeckte. An einigen Orten im Schwarzwald wurden Strohflechtschulen gegründet. Das Strohflechten wurde als Heimatarbeit oder Hausgewerbe vor allem von Frauen, Kindern, Alten und Behinderten ausgeübt. Da für das Angebot auch eine Nachfrage geschaffen werden musste, wurde im Schwarzwald des 18./19. Jahrhunderts das Strohhuttragen zur „Untertanenpflicht“. Zu ziemlich jeder Tracht wurde ein Strohhut kombiniert, egal ob Strohzylinder, Schnotz (Hotzenwald)oder eben Rosenhut. Aus Mangel an künstlichen (und echten) Rosen wurden für diesen rote Wollpompons verwendet. Der rote Bollen, das Fransenbüschel aus ärmerem Material, in roter Farbe und abstrahiert zur Kugel, ahmt also eine Rose nach.

Restaurantszene im Frühsommer in Südfrankreich: Die Gäste erhalten leihweise Strohhüte gegen die starke Sonneneinstrahlung. Foto: privat

Bollenhut als „Narrenkappe“

Diese Entwicklung wird belegt durch den Bollenhut des Schömberger Narren. Die Kopfbedeckungen der älteren Häser sind tatsächlich mit künstlichen Blumen geschmückt. Die modernere Variante weist jedoch bunte Wollpompons auf.  Ursprünglich meinte man offensichtlich einen Hut mit bunten Blumen und Federn. Diese Verkleidung sollte möglicherweise den Kleiderluxus und die Modenarrheit von Adel und Bürgertum karrikieren. Eine ähnlich „Anhäufung unnützer Schmuckformen“ findet man ja auch beim Villinger Narro, allerdings konzentriert auf den Hals: Hier wird zum großen Narrenkragen (Halskrause der spanischen Mode des 17. Jahrhunderts) eine Krawatte („Masch“) und ein Halstuch („Foulard“) getragen, – mehr als nötig und angemessen, sozusagen eine modische Hypertrophie.

Links ist die Kopftracht des Schömberger Narren zu sehen (ebenfalls: Ausstellung „Moden“). Foto: Lutz Hugel, visual artwork

Wollblume oder Strohblume

Statt Wollpompons findet man auf Schwarzwälder Strohhüten auch Strohblumen, also kunstvoll aus Stroh geflochtene Blüten und Blätter. Die Verwandtschaft dieser Hüte ist natürlich naheliegend. Vergleicht man die Anordnung der Strohblumen mit den Wollbollen, stellt man Ähnlichkeiten fest. Die Dekorationen sind meist zur Kopfmitte zentriert, z.B. kreuzweise angeordnet. Da bei vielen Trachtenhüten díe Rückenpartie mit herunterhängenden Bändern oder anderem Schmuck betont wurde, häufen sich hier ebenfalls zwickelförmig die Stroh- oder Wollapplikationen. Der echte Gutacher Bollenhut zeigt nämlich nicht einfach wahllos oder kreisrund applizierte Pompons, sondern 14 Bollen, die sehr wohlüberlegt auf dem gegipsten Stroh verteilt sind. Die Anordnung ist nur aufgrund der Größe der Pompons nicht mehr so leicht nachzuvollziehen.

Pompons als Universaldekor

Pompons kommen jedoch nicht nur auf Hüten vor und meinen auch nicht immer nur Blumen. Es gibt sie als Spitze von Mützen, zum Beispiel der Matrosenmütze oder liturgischen Kopfbedeckungen. In den letzten Jahren ist die sogenannte Bommelmütze – ansonsten kleinen Kindern vorbehalten – bei jungen Frauen zum „musthave“ geworden und findet sich inzwischen auch auf wesentlich älteren Köpfen. Diese Mode kann dem Trend zum Jungsein oder Jungbleiben geschuldet sein. Sie hat jedenfalls etwas Lustiges und Belustigendes, denn der Bommel wippt beim Gehen, beim Springen und Hüpfen natürlich noch mehr. Und er überhöht die Figur, darin einem Zylinder vergleichbar. Pompons an Schuhspitzen – wie zum Beispiel in der griechischen Männertracht – haben einen ähnlichen Effekt: Sie längen den Fuß und sehen hübsch aus. Pompons können Knöpfe ersetzen, z.B. bei Harlekinkostümen. Pompons wurden im letzten Jahr  gehäuft gesehen. Sie waren „en vogue“: als Schlüsselanhänger, als Schmuck an Schuhen, Kleidern, Hüten, einfach überall. Was kommt in der Mode wohl als nächstes: vielleicht Posamenten, sprich: Troddeln… ?

Auf dem Schwarzwälder Bollenhut ist auf jeden Fall – in Abwandlung von Gertrude Steins „a rose is a rose is a rose“ – eine fransige Wollkugel eine Rose.