Von Wolfgang Heitner, VS-Villingen

Mitten im Krieg – am 21. September 1941 – wurde nach etwa zweijähriger Bauzeit das Johanna-Schwer-Kinderheim an der Saarlandstraße eröffnet.

Stifterin des Heimes war Johanna Schwer, Besitzerin der SABA-Werke und Ehrenbürgerin der Stadt Villingen.
Die von der Firma erzielten Gewinne aus der staatlich geförderten Radio- und seit Kriegsbeginn der Rüstungsproduktion ermöglichten es der Eigentümerfamilie, der Stadt großzügige Geldspenden zukommen zu lassen und durch die Johanna-Schwer-Stiftung das Kinderheim zu finanzieren.

Grund für diese neugeschaffene Einrichtung war der desolate Zustand des bisherigen Kinderheims in der Schwedendammstraße, das nicht nur ungenügende hygienische Bedingungen aufwies, sondern dem auch eine Trennung von Krippenkindern zu Kindergarten- und Heimkindern fehlte. Die Folge war, so der 1. Beigeordnete Hermann Riedel in einem Schreiben an Bürgermeister Berckmüller, „daß infolge der unhygienischen Zustände in der bisherigen Kinderkrippe in Villingen eine vermehrte Säuglingssterblichkeit unvermeidlich ist“. Ein weiterer Grund für den Neubau war auch der wachsende Bedarf an Kinderbetreuungsplätzen, da die „wirtschaftlichen Betriebe eine immer größere Beschäftigungszahl an Frauen aufweist“, deren Kinder betreut werden mussten. Deshalb, so fasste Riedel seine Argumente für einen Neubau zusammen, begrüßte die Stadt den Neubau „sowohl aus hygienischen als auch aus gesundheitlichen und wehrwirtschaftlichen Gründen“.

Johanna-Schwer-Kinderheim ( Schwarzwälder Tagblatt, 29.9.1941)

Eigentlich sollte das Heim ein Geschenk Johanna Schwers an die Stadt sein, auch als Beweis der Dankbarkeit für die im November 1938 verliehene Ehrenbürgerschaft. Dieses Geschenk begrüßte auch Bürgermeister Berckmüller, ein seit der Parteigründung überzeugter Nationalsozialist. Er und die gesamte Stadtverwaltung waren der Ansicht, besonders freundliche Beziehungen zu den örtlichen Parteiinstanzen, insbesondere zum Kreisleiter Haller, zu unterhalten. Ein Trugschluss, der sich letztlich sowohl bei der Gestaltung der „Übergabefeier“ am 27. September 1941 als auch im Text des Schenkungsvertrages zeigte. Die Spitze der aufmarschierenden Formationen bildeten Parteivertreter und die Wehrmacht, erst dann folgten die städtischen Behörden und die Vertreter des Handwerks. Frau Schwer übergab den Schlüssel des Heimes zwar dem Bürgermeister Berckmüller, aber „gemäß den Richtlinien der Partei“ übertrug der Bürgermeister sodann die Inbetriebnahme des Heimes an die NSV (Nationalsozialistische Volkswohlfahrt). Die Inschrift in der „Ehrenhalle des Kinderheimes“ lautete auch parteigemäß: „Mutter und Kind sind das Unterpfand der Unsterblichkeit eines Volkes“. Wenige Tage später unterzeichneten Hermann Riedel als Vertreter der Stadt und Gauamtsleiter Dinser im Namen von SS-Oberscharführer Hilgenfeldt als Vertreter der Partei den Schenkungsvertrag. Darin wurde unter anderem festgehalten: Die Stadt stellte der NSV das gestiftete Gebäude sowie Inventar unentgeltlich zu Verfügung. Die NSV würde in dem Gebäude ein Säuglings- und Kleinkinderheim, eine Säuglingskrippe und einen Kindergarten einrichten. Zur Aufnahme kämen nur „deutsche, erbgesunde Kinder sozial brauchbarer Eltern“ in Betracht. Über die Aufnahme entschied die NSV.

Eröffnung des Johanna-Schwer-Kinderheims. Zu sehen sind Hermann Riedel (links vorne), Johanna Schwer (Mitte) und SS-Oberbefehlsleiter Hilgenfeldt (rechts). Aus: Heiner Fleig: Villingen Zeitgeschehen in Bildern 1928-1950, Verlag Revellio Villingen-Schwenningen, 1978, Seite 64.

Dass das Heim vollständig unter den ideologischen Einfluss der NSDAP und unter die Kontrolle der NSV geriet, war weder von der Spenderin Frau Schwer noch von Bürgermeister Berckmüller geplant gewesen. Letzterer war der Meinung, es wäre „wirtschaftlich richtiger gewesen“, wenn die Stadt das Heim selbst verwaltet hätte. Trotz seiner langjährigen Parteimitgliedschaft konnte sich Berckmüller nicht gegen die Gauleitung und den örtlichen Kreisleiter Haller durchsetzen. So blieb es dabei: Die NSV sah sich in Vertretung der Partei als Eigentümer der „Kinderheimstätte“, sie stellte das Personal (im Volksmund die „braunen Schwestern“), sie bestimmte, welche Kinder aufgenommen wurden und die Stadt hatte die wesentlichen Kosten zu tragen.

Jedoch wurde nur wenige Monate nach der Eröffnung in der Parteizeitung „Schwarzwälder Tagblatt“ festgestellt, dass im Gegensatz zum Kindergarten sowohl die Kinderkrippe als auch die Krabbelstube (also Einrichtungen für die jüngsten Kinder) von den werktätigen Müttern kaum angenommen würden. Gerüchteweise wurde als Grund genannt, das Heim sei wohl nur für „die Besseren“ gebaut worden. Dem wurde in dem Artikel vehement widersprochen und der Vorschlag gemacht, die beiden anderen Kinderheime in Villingen, die sich jedoch nicht in NS-Trägerschaft befanden, mit dem Johanna-Schwer-Heim zusammenzulegen. Ob der wahre Grund für den geschilderten Leerstand bei der Betreuung durch die „braunen Schwestern“ lag, lässt sich nur vermuten.

Die Ausgestaltung des Heimes durch Wandmalereien wurde dem in Waldkirch ansässigen Kunstmaler Schröder-Schoenenberg übertragen. Bekannt als Tiermaler, Mitglied der NSDAP, schuf er für den Ratssaal im Waldkirchner Rathaus ein großes Hitler-Porträt, für das Treppenhaus großformatige Wandgemälde mit den Titeln „Kampfbereitschaft um Scholle und Familie“ und „Die neue Zeit“. Im romantisierenden Stil fertigte Schröder-Schoenenberg im Villinger Kinderheim eine Reihe von verschiedenformatigen Bildern mit Themen aus bekannten Grimm´schen Märchen wie „Rotkäppchen“, „Sterntaler“ oder „Der gestiefelte Kater“ an. Besonders bemerkenswert bei seiner Auswahl ist das Märchen „Der Jude im Dorn“ und das Bild des im Dorngestrüpp gefangenen Juden, dessen zeichnerische Darstellung an Abbildungen aus der antisemitischen Wochenzeitschrift „Der Stürmer“ erinnert.

Wandgemälde „Der Jude im Dornbusch“, Foto: Frank Kleinbach, Stuttgart, 10/2003

Es stellt sich die Frage, was gerade dieses Märchen zusammen mit der entsprechenden Zeichnung in einem Kindergarten für eine Aufgabe hat. Wurde das Märchen den Kindern vorgelesen, das Wandbild betrachtet, um zur menschenverachtenden Schlussfolgerung zu gelangen, dass der „Jud“ im Märchen und so auch im richtigen Leben geldgierig, hinterlistig und betrügerisch sei und deshalb aus gutem Grund am Galgen hängen müsse?

Es ist jedenfalls anzunehmen, dass die Spenderin des Heimes, Johanna Schwer, den Kunstmaler Schröder-Schoenenberg kannte und mit der von ihm getroffenen Auswahl der gesamten Motive einverstanden war.

Anmerkung

Im Jahre 2003 wurden bei der Entfernung von Alttapeten im Erdgeschoss des Kindergartens die Zeichnungen entdeckt. Teilweise waren einige Bilder durch Stemm- und Durchbrucharbeiten zerstört. Auf Betreiben von Wendelin Renn (Galerieleiter) und Michael Hütt (Franziskanermuseum) wurden die Bilder fotografiert und vereinbart, dass sie nach der Dokumentation wieder schonend übertapeziert werden.