Was ist der Unterschied zwischen einem technischen Gerät und einem Kunstwerk? Man könnte in Anlehnung an den Soziologen Niklas Luhmann antworten, dass Kunst ein selbstreferentielles System ist, das keinen praktischen Zwecken unterliegt, während ein Gerät, zum Beispiel ein Radio oder Fernseher, eine konkrete Funktion besitzt und seinem Wesen nach ein Mittel (Medium) ist. Doch wie schnell sich solche Grenzen auflösen können, zeigt sich spätestens dann, wenn Produkte der Unterhaltungselektronik wie Kunstwerke in Museen und Galerien präsentiert werden, so etwa der vom Designer Philippe Starck entworfene SABA-Fernseher „Jim Nature“, der die Ehre hat, im Museum of Modern Arts (MoMA) ausgestellt zu sein (und bis 16. Juli auch im Franziskanermuseum!). Dieses Gerät empfängt heute keine Fernsehsender mehr, sondern verweist wie eine filigrane Skulptur nur auf seine eigene Ästhetik und legt Zeugnis ab von jener historischen Zeit, aus der es stammt.

Fernseher „Jim Nature“, SABA, 1990, Foto: visual-artwork

Das Spannungsfeld zwischen Kunst und moderner Technik mag es auch gewesen sein, das Ursula Brunner-Schwer, die erste Ehefrau des SABA-Geschäftsführers Hermann Brunner-Schwer, im Dezember 1965 dazu bewog, eine Kunstgalerie im beschaulichen Villingen ins Leben zu rufen: das „SABA-Studio“ in der Bickenstraße, direkt neben dem Hotel „Blume-Post“. Ausschlaggebend war ihr eigenes künstlerisches Interesse, gepaart mit den Möglichkeiten, die der zur Verfügung gestellte Verkaufsraum bot: „Das SABA-Studio war öd‘ und leer, die Wände waren weiß und sehr geeignet für farbige und konstruktive Dinge“ [1]. Dabei war der Anspruch durchaus ein pädagogischer: Das künstlerisch eher konservative Publikum in der heimischen Kleinstadt sollte mit den damals neuesten Strömungen vertraut gemacht werden, oder, wie es die Gründerin formulierte, dazu erzogen, „dass es auch mal etwas zu den Dingen sagt“ [2]. Das Studio sollte also ein Treffpunkt für Kunstinteressierte und Neugierige sein und jungen Künstlern eine Präsentationsmöglichkeit bieten. Doch nicht nur Kunst wurde hier zur Schau gestellt, sondern auch die neuesten SABA-Produkte, die sich zwischen den Werken einreihten, als wären sie Teil einer großen Collage.

Blick ins SABA-Studio in der Bickenstraße, 1966, Foto: Stadtarchiv Villingen-Schwenningen

Dabei korrespondierte die ausgestellte Kunst in besonderem Maße mit den technischen Schöpfungen, denn gezeigt wurden hauptsächlich Werke des Konstruktivismus, der Konkreten Kunst und der Op-Art, einer sich in den 60ern von den USA aus verbreitenden Kunstrichtung, die sich mit geometrisch-abstrakten Farb- und Formmustern, mit Bewegung und Illusion befasste. Victor Vasarely, einer der Pioniere und großen Meister dieser Strömung, baute seine Bilder aus wenigen, sich wiederholenden und variierten Einzelelementen auf, geometrischen Grundformen wie Quadrat, Raute oder Rechteck, die er in physikalischer Metaphorik mit Atomen verglich. In ihren zahllosen Kombinationsmöglichkeiten sah er die spielerische Freiheit von Baukästen, und einen solchen brachte er 1969 mit seinem „Plastischen Alphabet“ auch tatsächlich auf den Markt, womit er es der Bevölkerung ermöglichte, ihre „eigenen Vasarelys“ zu basteln. Das konstruktive, serielle Element entspricht erkennbar der technischen Massenproduktion, und einige von Vasarelys Werken ähneln denn auch Gittern, Lochkarten, Schaltplänen oder der Oberflächenstruktur von Platinen. Auch am Werk seines Sohnes Yvaral oder des Künstlers Karl Gerstner, die beide im SABA-Studio ausstellten, wird die Nähe zwischen den beiden Sphären deutlich. Deren geometrische, in Einzelsegmente aufgelöste Neonfarbfelder erinnern wohl nicht zufällig an den raster- und pixelartigen Bildaufbau von Dreifarben-Kathodenstrahlröhrenbildschirmen oder flimmernde Leuchtreklamen.

Plakat zur Ausstellung von Karl Gerstner im Juni 1966, Franziskanermuseum

Zunächst konnte das SABA-Studio einige Erfolge feiern, und die Liste der ausgestellten Künstler – viele von ihnen damals praktisch unbekannt – ist aus heutiger Sicht bemerkenswert: Paul Talmann, Lily Greenham, Hans Albert Walter, Romuald Hengstler, George Brecht, Robert Filliou, Karl Gerstner oder die Gruppo MID stellten in Villingen aus und machten das Studio zeitweise überregional bekannt. Besondere Erwähnung verdient Maurits Cornelis Escher, ein niederländischer Grafiker, der durch seine Darstellungen optischer Täuschungen und unmöglicher Figuren bekannt wurde. Escher war damals außerhalb seiner Heimat noch kein geläufiger Name, und insbesondere in der Kunstwelt beachtete man ihn wenig, während seine Werke unter Technikern und Naturwissenschaftlern (vor allem Mathematikern und Physikern) schnell große Beachtung fanden. Zu seinem Ruhm trug wesentlich bei, dass seine Kunst 1979 in Douglas R. Hofstadters Bestseller „Gödel, Escher, Bach“ thematisiert und zusammen mit den Kompositionen Johann Sebastian Bachs und dem Unvollständigkeitssatz Kurt Gödels mit Grundprinzipien der Informatik in Beziehung gesetzt wurden; nach Aussage des Autors lag darin der Versuch, zu ergründen, „was Bewusstsein aus bloßen Elektronen, die durch Drähte fließen, entstehen lässt.“ [3] In der Folge fanden sich Eschers Darstellungen in zahllosen populärwissenschaftlichen Büchern als Beispiele für die künstlerische Auseinandersetzung mit mathematischen und logischen Problemen; die erste Ausstellung seiner Lithographien wurde aber, wenn man dem selbstbewussten Statement auf einem Ausstellungsplakat Glauben schenken darf, vom 9. bis 31. Dezember 1966 im SABA-Studio in der Villinger Bickenstraße gezeigt. Selbst (aus damaliger Sicht) experimentelle und umstrittene Kunst fand hier Beachtung, wie die Assemblagen von Daniel Spoerri, an dessen „verrosteten Vogelkäfig mit toten Papageien“ [4] sich Ursulas Tochter Kathrin Brunner-Schwer noch heute lebhaft erinnert. Auch Spoerri setzte sich in seinem „Nouveau Réalisme“ mit dem Spannungsverhältnis zwischen Kunst und Alltagsobjekten auseinander und suchte herkömmliche Kategorien von Nützlichkeit und Schönheit zu überwinden; in seinen Multiples zeigt sich erneut die Nähe zur industriellen Massenproduktion.

Plakat zur Escher-Ausstellung im Dezember 1966, Franziskanermuseum

Ursula Brunner-Schwer scheint also eine gute künstlerische Urteilsfähigkeit besessen zu haben, die sie fortwährend in Atelierbesuchen schulte. Der persönliche Kontakt zu den Künstlern war ihr wichtig, um die Qualität ihrer Werke möglichst gut einschätzen zu können und um zu erfahren, „wie sie arbeiten und […] wie sie über ihr Schaffen selbst denken“ [5]. Damit verbunden war der Anspruch einer tiefergehenden inhaltlichen Auseinandersetzung jenseits reinen ästhetischen Genusses. Dabei ging die Innovationsfreude mit hoher Risikobereitschaft einher und wäre ohne den finanziellen Rückhalt vom Unternehmen nicht möglich gewesen, denn rein wirtschaftlich lohnte sich das Unterfangen nicht. Dazu fremdelte das Villinger Publikum doch noch zu sehr mit zeitgenössischer Kunst:

„Es gehört ungeheuer viel Energie und Idealismus dazu, das auf die Dauer weiterzumachen, wenn man spürt, das Publikum ist zwar interessiert, aber wenn es dann um die klingende Münze geht und man versucht, etwas zu verkaufen, schon allein um des Künstlers Willen, weil ja auch Künstler daran interessiert sind, etwas zu verkaufen und die Leute dann doch sehr zurückhaltend reagieren, das kann einem vielleicht den Mut nehmen.“

Ursula Brunner-Schwer im Interview mit ARTIS, Heft 5, Mai 1967

Als Mäzenatentum wollte sie ihre Tätigkeit nicht verstanden wissen, sondern sie betonte ihre Unabhängigkeit: „Ich habe nur von der Firma SABA einen gewissen wirtschaftlichen Rückhalt, dass sie mir die Räume zur Verfügung stellt und mich hier meine Ideen verwirklichen lässt.“ Dennoch dürfte das Unternehmen, schon allein durch die Verbindung zum Geschäftsführer, einen gewissen Einfluss ausgeübt und auch wirtschaftliches Interesse am Studio gehabt haben, denn durch die Nähe zur Kunst konnte das exklusive Hochqualitäts-Image der Marke unterstrichen und eine neue Käuferschicht gewonnen werden. Die Gegenüberstellung von geometrisch-abstrakten Bildern und nüchtern-technischen Geräten wertete Letztere ästhetisch auf, was insofern eine Ersatzhandlung darstellte, als sich SABA ansonsten nicht durch großartiges Design hervortat (anders als etwa der Elektrogerätehersteller Braun).

Ausstellung des Malers Emil Kiess im SABA-Studio, 1966, links unten Ursula Brunner-Schwer, Stadtarchiv Villingen-Schwenningen

Die Nähe zur Kunst lag aber auch in der Familie. Hermanns Bruder Hans-Georg hatte vom Vater, dem Musikdirektor Fritz Brunner, die Liebe zur Musik und ein absolutes Gehör geerbt und setzte dieses Talent ein, um mit der „Musikproduktion Schwarzwald“ (MPS) ein später weltweit renommiertes Plattenlabel zu gründen. 1968 verließ er SABA, um sich ganz seiner Leidenschaft zu widmen – nur wenige Jahre nach der Eröffnung des SABA-Studios. Hermann und seine Frau Ursula waren ihrerseits sehr kunstinteressiert, besuchten zahlreiche Ausstellungen im In- und Ausland und kauften gelegentlich auch selbst Werke. Dass sowohl Hans-Georg als auch Ursula (und damit indirekt wohl Hermann) in den späten 60ern den Einfluss SABAs in den künstlerischen Bereich auszuweiten versuchten, ist insofern bemerkenswert, als sich in dieser Zeit bereits Probleme anbahnten, die langfristig zum Ende des Unternehmens führen sollten – Unterkapitalisierung, harte Konkurrenzkämpfe mit Grundig, interne Streitigkeiten, unklare Führungsstrukturen. 1967 übernahm der amerikanische Konzern GTE die Aktienmehrheit, was manche heute als den Anfang vom Ende SABAs betrachten. Die Galerie und das Musikstudio waren insofern vielleicht auch Versuche der Ablenkung von der harten Realität des Wettbewerbs, eine Flucht in die hehre Welt der schönen Künste.

Besuch des Werbegestalters Heiner Flaig im SABA-Studio, 1967 (Fotos aus dem Besitz von Uli Bülow)

Während das MPS-Studio eine beachtliche Erfolgsgeschichte antrat und noch heute als Jazz-Mekka in aller Munde ist, blieb das SABA-Studio, aller Kreativität und zeitweiligen Aufmerksamkeit zum Trotz, ein kurzes Kapitel in der Geschichte von SABA und Villingen: Bereits 1968 wurde die Galerie wieder geschlossen, nachdem sich Hermann und Ursula scheiden ließen und die Mutter mit ihren Kindern nach Düsseldorf zog. Dort war sie zeitweise mit Karl Gerstner liiert, der zuvor schon im SABA-Studio ausgestellt hatte, und pflegte Kontakte zur regen Düsseldorfer Kunstszene um Joseph Beuys, Daniel Spoerri und weitere. 1972 zog sie mit ihren Kindern nach München und starb 2018 im Alter von 87 Jahren in Meersburg am Bodensee. Hermann verließ SABA im Jahr 1975, ausgebrannt und desillusioniert, ging 1982 mit seiner dritten Frau nach Stein am Rhein und starb sechs Jahre später im Alter von gerade einmal 59 Jahren.
Ausstellungsplakate des SABA-Studios gehören heute, ebenso wie manche Oldtimer-Radios und Vintage-Fernseher, zu begehrten Raritäten unter Sammlern. Aus einem privaten Nachlass konnte das Franziskanermuseum kürzlich einige Exemplare erwerben.

Fußnoten
[1], [2], [5] ARTIS, Heft 5, Mai 1967
[3] zitiert nach: https://de.wikipedia.org/wiki/G%C3%B6del,_Escher,_Bach, abgerufen am 21.06.2023
[4] Zitat Kathrin Brunner-Schwer