Gastbeitrag von Wolfgang Heitner

Anfang März 2017 schloss die Villinger Jugendherberge, gelegen am Rande der Stadt im Goldenbühl, endgültig ihre Pforten. Das in die Jahre gekommene Gebäude, das unter großem Besucherschwund litt und den erhöhten Brandschutzauflagen nicht mehr genügte, sollte eigentlich abgerissen werden, da sich eine Renovierung aus Sicht der Eigentümerin, dem Jugendherbergswerk, nicht mehr lohnte. Als Brandruine steht das Gebäude aber heute noch.

Jugendherberge im Goldenbühl (Sammlung Manfred Hildebrandt, hildebrandtvs.de)

Ein Blick zurück: Die ersten Jugendherbergen in Deutschland entstanden vor dem 1. Weltkrieg im Zuge der Wandervogel- und Jugendbewegung. Für mehrtägige Fahrten wurden einfache und kostengünstige Übernachtungsmöglichkeiten gesucht. Sie fand man zunächst in während den Ferien leerstehenden Schulräumen, in Bauernhöfen mit einfachen Strohlagern, aber auch in Kasernen. Die erste ständige Jugendherberge wurde auf Betreiben des Lehrers Richard Schirrmann in der Burg Altena (gelegen in der Nähe von Iserlohn / Westfalen) im Jahr 1912 eingerichtet. Schirrmann war auch Mitbegründer des Deutschen Jugenherbergswerkes in diesen Jahren. Vom Ersten Weltkrieg unterbrochen, setzten sich die Neugründungen der Jugendherbergen in der Nachkriegszeit rapide fort. Zählte man 1921 etwa 1300 Unterkünfte, so waren es 1928 schon über 2200 feste Einrichtungen in ganz Deutschland. Die erste Jugendherberge mit einfachster Ausstattung gab es in Villingen seit 1922 in der Richthofenkaserne. Ein großer Schlafsaal bot Platz für 24 Jungen. Mädchen hatten keinen Zutritt. Treibende Kraft für die Jugendherbergsbewegung in der Stadt war Helmut Schellenberg, wanderbegeisterter Lehrer für Biologie am Realgymnasium, der mit Mädchen und Jungen in den Oster- und Pfingstferien regelmäßig Ausflüge unternahm. Er drängte seit Mitte der 20er Jahre die Stadtverwaltung, auch für Mädchen Übernachtungsmöglichkeiten zu schaffen. Im Mai 1928 war der Stadtrat endlich dazu bereit, die bisherige Mittelstandsküche in der Josefsgasse als Mädchenjugendherberge zur Verfügung zu stellen – wenn auch zunächst nur für ein Jahr. Aber schon kamen die ersten Klagen aus der Bevölkerung. Die Mädchen würden fast allabendlich von ihren männlichen Wandergenossen aufgesucht werden, wobei laut gesungen und gefestet werde. Als weiteres Ärgernis hätten Besucher der nahegelegenen Benediktinerkirche den Anblick von Mädchen empfunden, die sich am Sonntagvormittag in Badeanzügen im Hof sonnten. Bei all diesen Klagen versuchte Helmut Schellenberg zu vermitteln, forderte die Stadt wiederholt auf, eine Jugendherberge für Jungen und Mädchen einzurichten, wie das an vielen Orten in Deutschland schon längst der Fall war. Der Auszug der Polizeiwache aus der Kanzleigasse 1 bot sich als Gelegenheit an. Auf Drängen des Verbandes der Badischen Jugendherbergen beschloss der Stadtrat im Juni 1932, einige Räume mit einfacher Ausstattung – zunächst für den Sommer – zur Verfügung zu stellen. Es sollte jedoch die gewünschte Dauerlösung werden.

Die Übernahme der politischen Macht durch die Nationalsozialisten im Reich hatte auch für die Jugendherbergsbewegung gravierende Folgen. Der Reichsverband für Deutsche Jugendherbergen verlor seine parteipolitische Neutralität und Baldur von Schirach, Reichsführer der Hitlerjugend, übernahm dessen Leitung. In Villingen wurde der zentrumsnahe Oberbürgermeister Gremmelspacher gewaltsam aus seinem Amt gedrängt und durch Hermann Schneider, Parteigenosse und SA-Mann, ersetzt.

Aus dem Provisorium in der Kanzleigasse wurde im Sommer 1934 eine feste Einrichtung. Zwei Stockwerke, in denen Schlafräume für Jungen und Mädchen, eine Küche, Aufenthalts- und Waschraum Platz fanden, wurden in einfachster Weise als Unterkunft für Jungen und Mädchen umgebaut. In einer pompösen Einweihungsfeier mit über 1200 Angehörigen der HJ, des BDM, der SA und der örtlichen Parteiprominenz überreichte Bürgermeister Schneider dem NS-Gebietsführer des Jugendherbergswerkes den Schlüssel des Hauses. Als Herbergsvater wurde der Parteigenosse Karl Schaaf eingesetzt. Dass jetzt die Gesetze der Partei galten, musste dieser jedoch im Juni 1937 erfahren. Auf Grund einer Anzeige der Ortsgruppe der NSDAP, er sei während des Besuches des Erzbischof Gröber für diesen in der Öffentlichkeit eingetreten (es gab nach einer Predigt Gröbers im Münster lautstarken Protest durch Nationalsozialisten), wurde Schaaf entlassen. Seine Zugehörigkeit zu der „schwarzen Clique“ (gemeint war das katholische Pfarrhaus in der Nachbarschaft) biete nicht die Gewähr für einen nationalsozialistischen Geist in der Jugendherberge. Man fürchtete sogar eine Spitzeltätigkeit Schaafs für die Katholiken.

Jugendherberge in der Kanzleistraße 1 mit „Hitlerjunge“ an der Hausfassade (SAVS)

Im Juli 1938 wurde die Jugendherberge vom Erdgeschoss bis unters Dach vollständig umgebaut und damit für einen größeren Personenkreis zugänglich gemacht. Zu diesem gehörten auch Familien aus der saarländischen Partnerstadt Friedrichsthal-Bildstock, die auf Einladung der Stadt Villingen jedes Jahr zur Erholung in den Schwarzwald kamen. Als Zeichen der Verbundenheit gaben die Saarländer beim Holzbildhauer Eugen Merz eine Holzfigur in Auftrag, die ihr Bürgermeister als Zeichen der Verbundenheit bei ihrem Besuch im Sommer 1939 im Rahmen einer öffentlichen Feier der Villinger Stadtverwaltung übergab.

Schnitzfigur „Wanderjunge“ (Hitlerjunge), Franziskanermuseum, Inv.nr. 14870

Die 120 cm hohe Holzfigur stellte einen „marschierenden Hitlerjungen“ dar, bekleidet mit knielanger, schwarzer Hose, braunem Hemd mit Hakenkreuzbinde und Halstuch, einem Wimpel in der Hand und einem Tornister auf dem Rücken. Angebracht wurde die Figur mittels eines Holzbalkens an der Hausfassade der Jugendherberge, als weithin sichtbarer Wegweiser zu diesem Haus.

Dort blieb sie bis zum Ende des Krieges, wurde danach abmontiert und im Gebäude aufbewahrt. Als 1963 im Stadtteil Goldenbühl die neuerbaute Jugendherberge bezogen wurde, war auch die Holzfigur Teil der neuen Einrichtung. Jedoch mit einer bemerkenswerten äußerlichen Veränderung: Der „marschierende Hitlerjunge“ war zu einem einfachen „Wanderjungen“ geworden. Verändert hatte sich die Farbgebung der Kleidung: jetzt olivgrünes Hemd, braune Hose und rote Kniestrümpfe. Verschwunden waren sowohl die Hakenkreuzbinde, das Halstuch und der Wimpel als auch die Inschrift des Koppelschlosses „Blut und Ehre“. Wie oft die Figur in den Jahren danach übermalt wurde, ist nicht bekannt.

Jugendherberge im Goldenbühl mit „Wanderjunge“ (BZ)

Diese Holzfigur ist sicher nicht das einzige Beispiel, bei dem ein Austausch der Farben die ursprüngliche Herkunft aus der NS-Zeit kaschieren sollte.

Erinnert sei an einen aus Nussbaum angefertigten Glasschrank aus dem jüdischen Haushalt Michael Bloch / Familie Gideon, der sich wie die Holzfigur auch heute im Franziskanermuseums befindet. Er war nach der Flucht der Familie im September 1939 aus ihrem geraubten Hausrat dem Leiter der Städtischen Sammlungen, Paul Revellio, von staatlichen Stellen billig überlassen und nach dem Ende des NS-Staates, so ein Aktenvermerk, als „neu bemalt blau-rot“ verzeichnet worden. Anfang der 50er Jahre erwarb das Museum das Möbelstück – nun legal – für 200.- DM von seinem ursprünglichen Eigentümer.

Erinnert sei auch an das Verschwinden der braun-schwarzen Partei-SS- und SA-Uniformen aus der Öffentlichkeit sofort nach Kriegsende, ersetzt durch farblich unauffälligere Zivilkleidung.

Es war wohl das in der Öffentlichkeit vorherrschende Bedürfnis, sich auch auf diese Weise von der nationalsozialistischen Vergangenheit zu distanzieren. Ob aber ein „Farbwechsel“ auch den erwünschten „Gesinnungswechsel“ bewirkte?

Quellen: SAVS Best. 1.16. Nr. 6359 und 6360
Ina Sahl und Michael Hütt vielen Dank für die Informationen.