Von Lisa Schmied

Ein Holzgehäuse von ca. 26 cm Höhe, drei verrostete und verbogene Zeiger und eine noch rostigere helle Kreisfläche. Was fängt man damit bitteschön an? In den Schwenninger Museen befindet sich das unscheinbare Ding. Lange blieb seine Funktion im Dunkeln. Bis jetzt. Willkommen zu einer Spurensuche, die mitten hinein in den mühseligen Arbeitsalltag in Salinen des 19. Jahrhunderts führt, als man vom heutigen Controlling träumte, ohne das englische Wort in Rottweil oder Schwenningen je zu benutzen.

Museumsobjekt Nr. 4349, Heimat- und Uhrenmuseum Schwenningen. Fotograf: visual artwork.

Was stellt das Objekt dar? Eine Uhr? Der Aufbau des Exponats ähnelt, wie wahr, einer klassischen Schwarzwalduhr um 1800. Merkwürdig ist, dass es keine Gewichte, kein Pendel und keine sonstige Aufziehmöglichkeit für einen Federantrieb hat, um die Uhr ins Laufen zu bringen. Es hat drei Zeiger. Das wäre, wenn man das Alter auf 150 bis 200 Jahre schätzt, zur damaligen Zeit und in dieser einfachen Ausführung ungewöhnlich. Sekundenzeiger waren im Alltagsgebrauch lange unnötig. Kaum eine der einfachen handwerklich gefertigten Schwarzwalduhren – und bei Anblick des Gehäuses darf man von einer gewissen Einfachheit oder Robustheit sprechen – lief sekundengenau. Sehen wir genauer auf das verrostete Zifferblatt, dann entdecken wir: Es zeigt überhaupt keine Ziffern von 1 bis 12 an. In drei Ringen reichen die Ziffern bis in die Zehntausender. Sie beginnen im innersten Ring mit 1 bis 100, im mittleren Ring gehen sie von 100 bis 1.000 und ganz außen offenbar von 10.000 bis 100.000 (?). Eine eindeutige Ablesung wird durch die Korrosionsschäden erschwert. Aber die Hypothese von einer „normalen“ Uhr ist dahin. Näher scheint doch die Vermutung, dass es sich hier um einen Zähler handeln könnte.

Museumsobjekt Nr. 4349, Rückseite, Heimat- und Uhrenmuseum Schwenningen. Fotografin: Lisa Schmied.

„Superstar“ Johannes Vosseler

Die Spurensuche geht weiter auf der Rückseite der Holzplatine. Dort ist ein handschriftliches Etikett angebracht und verrät, dass der Gegenstand von einem Uhrmacher namens „Joh. Voßeler aus Schwenningen d. 20. Ap. 1835“ hergestellt worden sei. Johannes Vosseler (1777-1847) ist alles andere als ein Niemand der Dorfgeschichte Schwenningens. „Die Vosselers“ und ihre Uhrmacherwerkstätte besaßen über Jahrzehnte einen außerordentlich guten Ruf, zu deren Spezialität die Jockele-Uhr (eine Art Wanduhr en miniature) zählte. Vielleicht war das Handwerk den Vosselers in die Wiege gelegt, oder wir sehen hier ein Beispiel par excellence für das Vererben von Berufen über Generationen hinweg. Johannes‘ Vater mit dem Namen Jakob Vosseler gilt laut Schwenninger Kirchenbüchern als einer der ersten zwei Uhrmacher im Dorf. Johannes und sein Bruder Christian wurden der Tradition folgend ebenfalls Uhrmacher. Später stiegen mehrere von Johannes‘ Söhne ins Gewerbe ein; besonders hervorragen sollte noch Michael Vosseler (*1808), der 1855 den Prototypen für eine Nachtwächterkontrolluhr entwickelte. Das führt aber zu einer anderen Geschichte, die bei der Depotentdeckung keine Rolle spielt.

Weißes Gold

Von verworrenen Familienstrukturen also zurück zur Frage, wozu Vosselers Produkt diente. Die Karteikarte des Museums von 1970 gibt den entscheidenden Fingerzeig auf seinen früheren Verwendungszusammenhang – Fundort war die Saline Rottweil. Was machte der Zähler in einer Saline? Die „Königliche Saline Wilhelmshall“ in Rottenmünster bei Rottweil stand mit der Saline in Schwenningen unter einer Verwaltung. Lange Jahre war Bergrat Dr. Friedrich August von Alberti ihr gemeinsamer Vorsteher. 1824 hatte Württemberg auf sein Geheiß hin in Schwenningen nach Salz zu bohren begonnen, kurz danach in Rottweil. In Schwenningen ist heute nichts mehr vom Werk in Hilben und am Moos zu sehen, nur noch die Straßennamen Salinenstraße und Siederstraße erinnern an eine wirtschaftlich bedeutende Vergangenheit. 1865 war die Saline nach nur 41 Betriebsjahren als unrentabel aufgegeben worden. Die Rottweiler Salzproduktion ging bis Ende der 1960er-Jahre weiter.[1] Bei beiden Salinen lief die Salzförderung ähnlich ab. Das Salz im Boden musste mit Wasser in der Tiefe gelöst werden. Mit Pumpen beförderten die Arbeiter das Salzwasser an die Oberfläche, bevor es in Siedehäuser auf sogenannte Pfannen geleitet wurde. 8 bis 18 Stunden trocknete dann unter Wärmezufuhr das Salz, während es immer wieder auf die Ablaufbretter geschaufelt und mit Krücken umverteilt wurde, bis alle Restflüssigkeit verdampft war. Danach kam das „weiße Gold“ zusammengerecht in Fässer und wurde von Fuhrmännern hauptsächlich in die Schweiz befördert. Diese Abläufe mussten rund um die Uhr (Nachtschichten inklusive) Hand in Hand gehen. Arbeitsteilung und Pünktlichkeit wurden vor den aufkommenden Fabriken zu neuen Prinzipien.

Schwenninger Saline auf einer Lithographie um 1860 (Ausschnitt), gezeichnet von Geometer Theodor Carl Weber aus Schramberg.

Gestatten, ein Hubzähler

Dank Beschreibungen in Literatur und Quellen lässt sich unser Museumsobjekt im Salinenzusammenhang als „Hubzähler“ enttarnen. Er zählte die ‚Hübe‘ beim Hochpumpen des Salzwassers. Dass ein solcher in Rottweil und in Schwenningen verwendet worden war, belegt Günter Schulz im Zitieren von Friedrich von Alberti (Amtsgrundbuch III): „Der geregeltste Gang der Maschine ist bei 9 bis 11 Hüben in der Minute. […] Die Zahl der Hübe wird durch einen Hubzähler angeschrieben.“ Mit „Maschine“ wurde vermutlich die Pumpe beziehungsweise das dort genutzte Wasserkrafthebewerk bezeichnet. Der Mechanismus des Zählers war einfach: Im Inneren griffen mehrere unterschiedlich große, metallene Zahnräder ineinander. War der Zähler an einem Pumprohr befestigt, musste der Schwengel gegen eine bewegliche Platte an der Unterseite des Zählers drücken und schon drehte jeder ‚Hub‘ das Rad um einen Zahn und den Zeiger um eine Ziffer weiter. Das Pumpen an mehreren Bohrlöchern lief anfangs per Menschenhand. Man investierte viele Mühen, diese Praktik zu vereinfachen. In Rottweil wurde die Wasserkraft der Prim genutzt – in Schwenningen trieben Pferde den Göpel an, die dauerschreitend Liter für Liter, oder in damaliger Maßeinheit, Kubikschuh für Kubikschuh nach oben hoben. Die Pferde gehörten einer externen Person, einem „Entrepreneur“, der für die Leistung seiner Tiere nicht nach Zeit, sondern nach Fördermenge bezahlt wurde – Kronen pro Kubikschuh Sole. Also musste die Fördermenge des Arbeitseinsatzes auch deshalb besonders gut dokumentiert sein. Kannte man das Volumen der Kolbenpumpe – sprich, die geförderte Salzwassermenge eines ‚Hubes‘ – brauchte man diese Zahl nur mit der angezeigten Ziffer der Pumpvorgänge multiplizieren, schon hatte man die Gesamtfördermenge eines Einsatzes. Mit einem Hubzähler wurde es auf einmal leicht, Arbeit zu berechnen, zu kontrollieren, vorauszuplanen und die Effizienz gezielt zu erhöhen.

Blick ins Innere: Dort verbergen sich Zahnräder, Triebe, Anker und eine bewegliche Platte (unten). Foto: Lisa Schmied.

Rarität, Innovation, Massenware?

Der Betrieb der Saline gewann dank solcher Instrumente erste industrielle Züge. War dieser Zähler von Johannes Vosseler deshalb revolutionär, eine geniale wie einzigartige Erfindung des Schwenninger Uhrmachers? In den 1850er- und 1860er-Jahren waren Hubzähler in mitteleuropäischen Salinen weitverbreitet. Darauf lassen zeitgenössische Fachzeitschriften wie „Archiv für Bergbau und Hüttenwesen“ oder „Sammlung von Aufsätzen und Nachrichten die Baukunst betreffend“ schließen. Selbstverständlich erwähnen die Autoren seinen Einsatz an jeder Pumpe ebenso wie an Dampfmaschinen. Sie wurden genutzt, um Arbeitsleistungen zu dokumentieren, miteinander zu vergleichen und Erfolge zu demonstrieren. Möglicherweise war sein Einsatz 1835 noch recht früh. In diesen Jahren und vorher taucht der Hubzähler in denselben Quellen seltener auf. Zudem kennt man auf Anfrage weder im Salinenmuseum „Unteres Bohrhaus“ in Rottweil noch in großen und einschlägigen Museen wie dem Technischen Museum Wien, dem Deutschen Museum in München, dem Technoseum in Mannheim, dem Deutschen Bergbau-Museum in Bochum, dem Deutschen Salzmuseum Lüneburg, den Salzwerken, dem Stadtarchiv und Stadtmuseum Bad Reichenhall einen Hubzähler vergleichbarer Art und aus annähernd gleicher Zeit.

Ausschnitt aus „Polytechnisches Centralblatt“, 1836. Eine der früheren Nennungen eines „Hubzählers“. Dass damit ein Hubzähler speziell für den Einsatz in einer Saline gemeint ist, ist eher unwahrscheinlich.

In anderen Bereichen waren Zähler seit langem im Einsatz. Ein Beispiel ist die Landvermessung mit Schritt- und Meilenzählern, die ab dem 17. Jahrhundert gebraucht wurden. Während Meilenzeiger die Wegstrecke direkt an einem Wagenrad maß, funktionierte ein Schrittzähler wie ein Hubzähler. Mit einer Schnur am Bein wurde jedes Heben auf Zahnräder und wiederum auf Zeiger übertragen, die Schrittzahl am Zifferblatt abgelesen. Das primitive Uhrwerk-Zähl-Prinzip war dasselbe.[2] Allein das Äußere unterschied sich in der Hochwertigkeit der Ausführung und des Materials sowie in der Anzahl der Zifferblattscheiben. Ein anderes Beispiel für den frühen Einsatz mechanischer Zähler ist das Textilwesen. Generell muss im 19. Jahrhundert von einer enormen Verbreitung von Zählern ausgegangen werden, wie Dr. Daniela Schneevoigt, Kuratorin der Sammlungsbereiche Physik, Geophysik, Geodäsie, Maß und Gewicht am Deutschen Museum in München bestätigt. Warum fiel dann unsere Nachfrage nach Hubzählern so bescheiden aus? Waren Hubzähler nur im Bereich Bergbau und Saline so früh eine Seltenheit? Oder waren sie im Gegenteil 1835 so verbreitet, selbstverständlich und banal, dass nur keiner daran dachte, sie aufzubewahren? Oder steckt das Forschungsproblem darin, dass sich heute die frühere Verwendung von Zählern, die in Depots und Museen schlummern mögen, kaum mehr erkennen lässt? Fest steht: Den Sinn fürs Messen gab es. Einen Zähler zu bauen, dürfte für einen damaligen Uhrmacher eine technisch leichte Fingerübung gewesen sein. Dafür brauchte es wohl gar nicht „den einen“ Erfinder. Es erscheint unnötig, sich an Vorbildern zu orientieren, reichte doch das Funktionale und das, was man aus seinem nächsten Umfeld kannte. In einer Saline, wo das Salzwasser spritzt, stand Repräsentation ohnehin nicht an erster Stelle. Somit spricht viel dafür, dass wir hier ein Alltagsobjekt par excellence haben. Keine Rarität, keine Daniel-Düsentrieb-Erfindung eines einzelnen Mannes aus Schwenningen, sondern Stellvertreter für eine Vielzahl an Zählern gleicher Funktion, die in unterschiedlichem Aussehen nebeneinander entstanden sein konnten. Die Recherchen zeigen jedoch, wie wertvoll die Entdeckung trotzdem ist – als Mikro-Zeugnis einer vergangenen und im Detail oft noch verschwommenen Arbeitswelt.

Abbildung: Andere Zeit, anderes Material – gleiches Prinzip: Links ein Schrittzähler im Deutschen Museum München, hergestellt um 1700 in Augsburg. Fotograf: Deutsches Museum / Konrad Rainer, CC BY-SA 4.0. Rechts Hubzähler des Heimat- und Uhrenmuseums Schwenningen. Die Zahlenreihen, die links vierfach übereinander angeordnet sind, sind rechts dreifach hintereinander montiert und über Wellen an einem einzigen Zifferblatt zusammengeführt. Links erfolgt der mechanische Impuls über den seitlichen Hebel. Rechts ist im offenen Gehäuse eine bewegliche Platte versteckt.

Epilog

Ob innovativ oder nicht, und egal, welche Hypothese tatsächlich stimmt: Unsere Geschichte hat einen nennenswerten lokalgeschichtlichen Nachklapp. 1910, also 75 Jahre nach Bau dieses einen Hubzählers, wurde die Firma Irion & Vosseler (IVO Zählerfabrik) gegründet. Der beteiligte Vosseler war ein Nachfahre unseres Johannes Vosselers. Seitdem produzierte die Firma aus Villingen-Schwenningen sämtliche Variationen von Zählwerken, die inmitten einer wachsenden Industrie nicht mehr wegzudenken waren.

Verwendete Literatur und Quellen:

  • Archiv für Bergbau und Hüttenwesen. Bd. 18 (1829), S. 115-116.
  • Beer, August Heinrich: Erdbohrkunde. Ein Abschnitt aus den Aufschluss- und Ausrichtungs-Arbeiten der allgemeinen Bergbaukunde. Prag 1858.
  • Carlé, Walter: Beiträge zur Geschichte der württembergischen Salinen (Veröffentlichungen der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg. Reihe B, Forschungen, Bd. 43). Stuttgart 1968.     
  • Heinzmann, Siegfried: …mit langer Hos‘ und Dächleskapp’… Die Entwicklung Schwenningens vom Bauerndorf zur Industriestadt 1600 bis 1918. Heidelberg/Ubstadt-Weiher/Basel 2017. [Familie Vosseler und Geschichte IVO Zählerfabrik]
  • Jean Paul’s sämmtliche Werke, Band 2. Paris 1836 [Siebenkäs: Blumen-, Frucht- und Dornenstücke (1796-7)].
  • Polytechnisches Central-Blatt 2 (1836), Nr. 1 [Kleinere Mitteilungen S. 39]
  • Sammlung nützlicher Aufsätze und Nachrichten, die Baukunst betreffend. Für angehende Baumeister und Freunde der Architektur Jg. 4 (1800), Erster Band, S. 72 sowie Jg. 5 (1803), Erster Band, S. 113-117.
  • Schade, Ferdinand: Uhrmacher-Lexikon. Weimar 1855, Art. ‚Takt-Uhren‘, S. 115.
  • Schellen, Heinrich: Die Schule der Elementar-Mechanik und Maschinenlehre. Braunschweig 1862, Erster Theil, S. 137-139 (‚Der Schritt- und Hubzähler‘).
  • Schulz, Günter: Die Saline Wilhelmshall bei Rottweil: 1824 – 1969; geologische Grundlagen, Bau- und Betriebsgeschichte, wirtschaftliche Entwicklung und Personalangaben. Rottweil 1970.
  • Schulz, Günter: Geschichte der ehemaligen Königlichen Württembergischen Saline Wilhelmshall bei Schwenningen am Neckar 1823-1865. Schwenningen a.N. 1967.

Fußnoten

[1] Die Erinnerung an die Rottweiler Saline wird heute im Salinenmuseum „Unteres Bohrhaus“ bewahrt.

[2] Schriftsteller Jean Paul (1763-1825) gibt in amüsant-frivolem Unterton eine Vorstellung von der Nutzung eines Schrittzählers im Roman ‚Siebenkäs‘: „Ich hatte nämlich den Catel’schen Schrittzähler mit einem Haken rechts an den Hosenbund, und die am Schenkel niederlaufende Seiden-Schnur unten am Knie an eine krumme Stahlspitze angemacht, und die drei Weiser auf Einer Scheibe – denn der der erste Weiser zeigt hundert, der zweite tausend Schritte, der dritte bis zwanzigtausend – liefen ordentlich wie ich selber, als ein Frauenzimmer kam, das ich nach Hause führen sollte. Ich bat sie, mich zu entschuldigen, da ich den Catel’schen Schrittzähler angethan und nun in der Längenmessung von Hof schon so viele Schritte gemacht: ‚Sie sehen offenbar, setzt‘ ich dazu, daß der Schrittzähler, wie ein Gewissen, jeden Schritt auffschreibt – und mit einem Frauenzimmer muß ich noch dazu kleinere Schritte machen und tausend in die Queere und rückwärts; das rechnen die drei Weiser aber alles zum Durchmesser, – es geht gar nicht, Vortreffliche!‘. Zitat aus: Jean Paul’s sämmtliche Werke, Band 2. Paris 1836, Siebenkäs: Blumen-, Frucht- und Dornenstücke (1796-7), S. 126. Als Erfinder bezieht sich Jean Paul auf den Berliner Feinmechaniker Peter Friedrich Catel (1747-1791).