Villingen-Schwenningen: seit bald 50 Jahren gemeinsame Stadt im Herzen Baden-Württembergs, über alte Landesgrenzen, naturräumliche Grenzen und Denk-Grenzen hinweg. Eine Erfolgsgeschichte? Ja, aber eine, in der es – wie in jeder guten Beziehung – auch mal knirscht. Der besonderen Verbindung zwischen dem einst badischen Villingen und dem einst württembergischen Schwenningen widmet sich nun ein neuer Bereich in der Dauerausstellung. Er beleuchtet Gegenwart und Zukunft der gemeinsamen Stadt und setzt damit einen neuen Endpunkt in der stadtgeschichtlichen Erzählung des Museums.

Wie tickt Villingen-Schwenningen?

2017 jährte sich die Ersterwähnung Villingens und Schwenningens zum 1200. Mal. Dieses Jubiläum war Anlass für ein buntes Veranstaltungsprogramm in der Doppelstadt, zu dem auch die Sonderausstellung „Wie tickt Villingen-Schwenningen?“ zählte. Ein nachhaltiger Ertrag dieser Ausstellung war nicht nur der Launch des Blogs „STADT HOCH 2“ sowie ein Magazin, das weiterhin im Museum erhältlich ist. Für die Ausstellung wurden auch einige neue Objekte erworben oder als Leihgaben zur Verfügung gestellt. Besonders freuten wir uns über Gegenstände der jüngeren Zeitgeschichte, die bisher eher spärlich in den Sammlungen vertreten waren.

Die „VS-Ecke“ in der Dauerausstellung des Franziskanermuseums

Die Idee hinter der Ausstellung gefiel uns und den Besuchern so gut, dass wir beschlossen, Teile von ihr in die Dauerausstellung zu integrieren. Ein Platz war schnell gefunden, denn eine Nische in der Abteilung „Stadtgeschichte bis heute“, in der nach mehreren Umnutzungen das Münster-Modell von Gerhard Ächtner gezeigt wurde (jetzt im Raum „Tourismus“), bot sich als Standort geradezu an. Wie in der Sonderausstellung „Wie tickt Villingen-Schwenningen?“ kreist die Konzeption des neuen Bereichs um die Themen Mobilität, Identität und Helden.

Villingen-Schwenningen ist nach der jüngsten Auszählung auf über 85.000 Bewohner angewachsen und damit nicht mehr so weit von der offiziellen Definition einer Großstadt (100.000 Einwohner) entfernt. Mit diesem Wandel verändern sich auch Bevölkerungsstruktur und Lebensgefühl. Ein städtisches Leitbild, das 2017 aus öffentlichen Workshops und Gesprächen mit Interessenvertretern entstand, sollte diese urbane Entwicklung befördern und Wege in die Zukunft aufzeigen. Dabei wurden nicht nur Chancen, sondern auch Risiken identifiziert: Demographischer Wandel, soziale Ungleichheit und immer stärker differenzierte Lebensmodelle stellen wesentliche Herausforderungen für jede Stadt im 21. Jahrhundert dar.

Regenbogenschal von Christa Lörcher, SERC-Fanschal und -pullover und Milka-Helm von Martin Schmitt

Neue Helden braucht die Stadt

Als Bindeglieder und Identifikationsfiguren können „neue Helden“ aus der Politik, dem Sport oder dem Alltag dienen. Solche hat VS in großer Zahl zu bieten: Jeder Rettungssanitäter, jeder Feuerwehrmann, jeder der dazu beiträgt, den Ort ein Stückchen lebens- und liebenswerter zu machen, hätte es verdient, hier gewürdigt zu werden. Die große identitätsstiftende Funktion, die den Helden zugeschrieben wird, erfüllen aber vor allem Sportler. Nur exemplarisch haben wir einzelne herausragende Individuen ausgewählt: Der Eishockey-Torwart Matthias Hoppe steuerte seine vom SWR verliehene Trophäe „Sportler des Monats“ in Form einer goldenen Fanghand bei. Vom Skispringer Martin Schmitt kündet ein Exemplar des berühmten Milka-Helms, mit dem der geborene Tannheimer vier Mal zum Weltmeistertitel sprang. Martin Schmitt konnten wir erfreulicherweise sogar für die offizielle Eröffnung im Beisein der Presse als Gast gewinnen, wo er über seine außergewöhnliche Karriere, seine Verbindung mit VS und seine Erinnerungen an das jetzige Ausstellungsstück erzählte.

Skisprung-Weltmeister Martin Schmitt und Museumsleiterin Dr. Anita Auer

Doch den sprichwörtlichen Heldenmut braucht nicht nur, wer eine 100 Meter lange Schanze hinabspringen will – auch politische Entscheidungen können mutig sein, wenn sie mit der Übernahme besonderer Verantwortung einhergehen. Hierfür steht der Regenbogenschal von Christa Lörcher, jener Bundestagsabgeordneten, die Kanzler Schröder 2001 ihre Stimme bei der Vertrauensfrage verweigerte, sich damit zugleich gegen den Einsatz der Bundeswehr im Afghanistan-Krieg positionierte und konsequenterweise die SPD-Fraktion verließ. Bei der Abstimmung trug sie den nun ausgestellten Schal. Mit ihm verbindet sich keine unmittelbare politische Stellungnahme, sondern ein Plädoyer für Nonkonformismus zugunsten des Gewissens.

Volle Fahrt voraus!

Zum Thema Mobilität sind zwei Postkarten vom Beginn des 20. Jahrhunderts zu sehen, die damals populäre Zukunftsvorstellungen vor der Kulisse Villingens und Schwenningens zeigen (siehe Blogbeitrag hier). Der utopische Humor funktioniert natürlich nur, weil die dargestellten Gemeinden eben keine Großstädte waren. Was vor 100 Jahren noch Anlass zum Schmunzeln gab, scheint in der Filmschleife des Medienkünstlers Christoph Brach jedoch Wirklichkeit zu werden. Er kombinierte die unterschiedlichsten Formen von Mobilität, von der Seifenkiste über den Ringzug bis zum Trampolinsprung, zu einer kunstvollen Collage. VS zeigt sich hier als Stadt der Bewegung, der Veränderung und des Fortschritts. Wie in den historischen Postkarten bleibt deren lokale Identität jedoch über allen Wandel hinweg erkennbar, nicht nur durch markante Gebäude, die im Hintergrund hervorblitzen, sondern gerade auch durch die Erinnerung so mancher Besucher, die sich hier sicherlich in ihre eigene Vergangenheit zurückversetzt fühlen.

Mareike Drobny: TEIL-SEIN, 2017

Auf die Mobilität verweist auch das Kunstwerk TEIL-SEIN von Mareike Drobny. Die Grafik anlässlich des 1200-jährigen Jubiläums der Ersterwähnung Villingens, Schwenningens und Tannheims greift zentrale Fragen auf: Woher kommen wir? Wohin werden wir gehen? Die Künstlerin dokumentierte die Wege von Bürgern mittels GPS und visualisierte das daraus entstandene Wegenetz. Die Verwobenheit aller Ortsteile miteinander zeigt sich als ungebrochenes Geflecht, das wie ein Nervensystem den „Organismus“ der Doppelstadt durchzieht.

Von Wasser und Würsten

Kunst macht sichtbar, was sonst verborgen bleibt. Sie kann aber auch die Diskrepanz zwischen dem Tatsächlichen und dem Fiktiven aufzeigen. So sind in der Ausstellung auch zwei Flaschen zu sehen, die eine beschriftet mit „Nordsee“, die andere mit „Schwarzes Meer“, beide gefüllt mit identischem Wasser. Die europäische Wasserscheide, die als eine von zahlreichen Grenzen zwischen Villingen und Schwenningen verläuft, wird so auf ironische Weise sichtbar gemacht. Vielleicht noch pointierter gelang dies Anneliese Harm, die identische Würstchen in zwei unterschiedliche Einweckgläser packte, das eine beschriftet mit „Villingerle“, das andere mit „Saitenwürste“, der in Schwenningen üblichen Bezeichnung. Wo sich die einen bescheiden in die schwäbische Nomenklatur einreihen, stellen sich die anderen auf eine Stufe mit Frankfurt und Wien als Namensgeber einer Wurstspezialität – die so speziell gar nicht ist.

Thema „Identität“: Kunst macht Unsichtbares sichtbar

Aber jenseits allen Spotts überwiegen Optimismus und Versöhnlichkeit. Nichts zeigt das Rührender als die Geburtsbändchen von Nadja Harm aus Villingen und deren späterer Schulfreundin Gudrun Müller aus Schwenningen, beide geboren im Jahr der Städtefusion 1972. Ihre zierliche Form weckt Assoziationen mit Eheringen, sie stehen für Neuanfang und Verbundenheit und damit auch für das verwobene Schicksal der beiden großen Stadtteile. Der Herzschlag der Doppelstadt ist am Ende doch nur das Echo von 85.000 kräftig schlagenden Herzen.