Am 11. 06. 2019 trafen sich Dr. Ralf Ketterer und Jochen Walter vom Uhrenindustriemuseum mit Wissenschaftlern der Universität Stuttgart, um sich über die Geschichte der deutschen Uhrenindustrie im Allgemeinen und über das Arbeitsleben von Herrn Walter im Besonderen auszutauschen.

Katharina Stolz ist Doktorandin am betriebswirtschaftlichen Institut und der Wissenschafts- und Technikhistoriker Dr. Thomas Schuetz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am historischen Institut der Universität Stuttgart, gemeinsam erforschen sie mit weiteren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die Strukturkrise der 1970er Jahre anhand unterschiedlicher Fallbeispiele. Frau Stolz und Herr Schuetz sind dabei in einen weiteren Forscherverbund des Bundesministeriums für Forschung und Technologie eingebunden. Unter dem Titel „Gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken in Zeiten von Krisen und Umbrüchen“ untersucht dieser weit gefasste Forschungsverbund aus 26 Projektgruppen in ganz Deutschland etwa aus der Perspektive der Soziologie, der Politikwissenschaften und anderer Gesellschaftswissenschaften Themenkomplexe wie politischen Populismus, Anti-Feminismus, Zentrum – Peripherie Probleme, um nur einige zu nennen.

Frau Stolz und Herr Schuetz widmen sich in diesem Zusammenhang explizit der Uhrenindustrie, sie nähern sich der Fragestellung mittels eines vergleichenden Ansatzes zwischen der Bundesrepublik und der DDR. Dabei konzentriert sich Herr Schuetz auf die krisenhafte Entwicklung bis etwa 1990 aus technik- und unternehmenshistorischer Perspektive, während sich Frau Stolz als Betriebswirtschaftlerin mit dem erneuten ökonomischen Erfolg mechanischer Uhren in der Folgezeit beschäftigt.

Bereits im Vorfeld des Zeitzeugengesprächs waren die Bestände des Uhrenindustriemuseums und Stadtarchivs von großem Wert für die wissenschaftliche Aufarbeitung der Frage, wie der Strukturwandel die bis in die 1970er Jahre international erfolgreiche Uhrenindustrie marginalisiert hat. Nun versuchte man sich im gemeinsamen Gespräch, all denen Aspekten zu nähern, die nicht verschriftet erhalten geblieben sind. Da in den Büchern, erhaltenen Dokumenten und Zeitschriftenbeiträgen keineswegs alle relevanten und auch interessanten Informationen erhalten sind, ist es mittlerweile eine fest etablierte Methode der Geschichtswissenschaften das Gespräch mit Zeitzeugen und Experten zu suchen. Im Zentrum des Interesses standen dabei die Berichte von Jochen Walter, der über einen reichen Erfahrungsschatz aus seiner beruflichen Laufbahn in der Schwenninger Uhrenindustrie berichtete.

Darüber hinaus hatte Herr Walter auch eine ganze Reihe von Werken und Uhren mitgebracht, die seinen lebhaften Bericht zu illustrieren vermochten. Aspekte, die bisher kaum Teil der Erinnerungskultur sind, bildeten den Kern dieses Gesprächs. So etwa die wachsende Bedeutung von Kunststoffen und Klebeverbindungen in der Uhrenfertigung seit den 1960er Jahren. Dazu hatte Herr Walter aus seiner privaten Sammlung ein Armbanduhrkaliber 51 von Kienzle mitgebracht. Hatte man bei dieser bereits 1931 als Strapazieruhr auf den Markt gebrachten Uhr mit Stiftankerhemmung die Spirale über Jahrzehnte in tausendfachen Stückzahlen verstiftet, so wurde die Technik Anfang der 1960er Jahre durch eine Klebeverbindung abgelöst. Hintergrund dieser zunächst marginal erscheinenden Innovation war, dass beim Verstiften die Spiralfeder deformiert wurde, sodass die Spirale und der Abfall, also der Position der Unruhe zum Anker, nach dem Verstiften neu justiert werden mussten, um eine ganggenaue Uhr zu fertigen. Diese Tätigkeit – das Richten des Abfalls – wurde von einer eigenen Gruppe von technischen Experten, den sogenannten Gangrichtern, ausgeübt. Für die Taktung des Produktionsprozesses stellte das ein keineswegs triviales Problem dar, da das individuelle Richten des Abfalls bei jeder Uhr und bei jedem Gangrichter unterschiedlich zeitaufwendig war. Mit der Einführung der Klebeverbindungen war aus unternehmerischer Sicht dieses Problem gelöst, bedeutete aber zugleich, dass die Funktion des Gangrichters hinfällig wurde. Experten, die über Jahre ihre manuellen Fertigkeiten perfektioniert hatten, und die damit in der Fabrikorganisation einen besonderen Status innehatten, verloren mit einem Federstrich ihre besondere Stellung. Darüber hinaus bedeutete es aber auch, dass die Uhrmacher, als maßgebliche Vermittler zwischen Uhrenfabrikant und Konsument, die neue Technik vermittelt bekommen mussten.

Die Ablösung des Verstiftens durch eine Klebeverbindung war nur eines von vielen Beispielen aus der innovativen Produktionstechnik über die Herr Walter berichtete. Diese geradezu winzige technische Innovation zeigt aber eindrücklich, wie kleine Dinge große Folgen zeitigen können.