Der französische Karikaturist J.J. Grandville (1803-1847) wurde kürzlich in einem Radiobeitrag zu den Tierfiguren des amerikanischen Zeichners Walt Disney als dessen „Vorläufer“ bezeichnet. Die Tradition sprechender und wie Menschen handelnder Tiere beginnt wohl mit den Fabeln eines Äsop, der um 600 v. Chr. als Sklave in Griechenland lebte. Mit sehr viel Geist und Witz schrieb er Geschichten, in denen Tiere stellvertretend für Menschen agieren. Die „verkleidete Wahrheit“ über menschliche Schwächen konnten so von den Lesern leichter angenommen werden. Im 18. Jahrhundert erhält die Fabeldichtung in Frankreich neue Impulse durch Dichter wie Jean de La Fontaine, dessen Fabeln Grandville illustrierte: „Der besondere Charme der Zeichnungen liegt darin, dass Tiere in Menschengestalt auftreten und … den Lebenden einen Spiegel vorhalten“ [1]. Grandville wurde aber nicht nur durch den Fabeldichter La Fontaine zu seinen Karikaturen in Tierform angeregt. Er besaß eine überbordende Fantasie, ein Interesse an Naturzeichnungen – denen er sich in der Zeit widmete, als er sich aus der politischen Satire zurückzog – und einen schwarzen Humor, der ihn seinen Zeitgenossen, z.B. dem Schriftsteller Charles Baudelaire, suspekt machte. So gibt es von ihm eine Darstellung einer „Katzenmusik“ [2], welche die Zeichner und Schriftsteller der Zeitschrift „La Caricature“, später „Charivari“ (frz. für Katzenmusik), in Aktion zeigt: Sie veranstalten eine Lärmmusik für einen regierungstreuen Abgeordneten, der sich vor Schmerzen krümmt und die Ohren zuhält [3].

J.J. Grandville: „Charivari“ aus: La Caricature, 1831

Was hat das Ganze mit der Villinger „Katzenmusik“ zu tun? Zunächst treten ja auch hier Tiere auf, die als Narrenfiguren den anderen einen Spiegel vorhalten. Das soziale Milieu, aus dem sich der Villinger Fastnachtsverein rekrutiert, entspricht der Prostestform „von unten“, welche der „Katzenmusik“ allgemein anhaftet. Tierfiguren entsprechen nach der mittelalterlichen Narrenidee dem Narren per se, der ja Gott leugnet. Ein Tier kann – da es keinen Verstand besitzt – nicht an Gott glauben. Eine Katze eignet sich besonders als Narrenfigur, da sie von altersher aufgrund ihrer Eigenwilligkeit und Vermehrungsfreude als Sinnbild des bösen, sündhaften Weiblichen gilt. Hierher rührt z.B. das Attribut der schwarzen Katze bei Hexen.

J.J. Grandville: Großer Kreuzzug gegen die Freiheit, 1834

Aber es gibt auch eine Darstellung von Grandville „Großer Kreuzzug gegen die Freiheit“ von 1834, die der Darstellung eines der „Urväter“ der Katzenmusik, des Zeichners und Malers Karl Friedrich Kaiser (1890-1978), stark ähnelt.

Karl Friedrich Kaiser: Katzenmusikverein Miau Villingen, 1926

Beide Darstellungen sind „(Um-)Züge“, wenn auch in verschiedene Richtungen. In beiden gibt es eine Katze mit erhobenem Schwanz, auf der eine Person reitet. Die am Zug teilnehmenden Personen sind äußerst skurril gekleidet und „überzeichnet“: So haben bei Kaiser viele der Dargestellten rote Nasen, ein Symbol des Clowns (Narrenfigur!), bzw. des Colonus (lat. Bauer, Landbewohner), der – dem Vorurteil nach – dem Alkohol zugeneigt ist. Die Zugteilnehmer spielen unterschiedliche Instrumente. Auch eine Pute (Gans) taucht in beiden Illustrationen auf.

Bei Grandville handelt es sich bei den „Kreuzzüglern“ allerdings um die Regierungstreuen, welche die Pressefreiheit und damit den Künstler/Karikaturisten selbst bedrohten. Bei Kaiser geht es um einen (frühen) Fastnachtsumzug der Villinger Katzenmusiker. Bei Grandville sind die Tiere die „Reittiere“ der Kreuzzügler und symbolisieren deren schlechte Eigenschaften. So redet der Papagei der Regierung nach dem Mund. Die moralisierende Pute wird als prüde interpretiert, die Hyäne als abstoßend und verschlagen (Aasfresser!), das Chamäleon als unzuverlässig, weil es sich ständig anpasst und die Farbe (Meinung) wechselt, der Panther als dunkel und gefährlich. Grandville „argumentierte“ in seinen Karikaturen bissig und geistreich. Sie waren den Zeitgenossen weit über Frankreich hinaus bekannt. Vermutlich hatte Kaiser diese Zeichnungen in seinem Bildgedächtnis, als er für den noch relativ jungen Fastnachtsverein „Katzenmusik“ eine bis heute verwendete Darstellungsform suchte.

Kaisers Zeichnung wurde zunächst als Postkarte publiziert und dann als Vorlage für die Vereinsfahne verwendet. Der Name „Katzenmusik“ wurde sicherlich aufgrund der anfänglich schräg spielenden kleinen Musikgruppen, die für den Verein typisch waren, gefunden. Für Kaiser lag es nahe, bei den französischen Namesvettern („Charivari“) nach Inspirationen zu suchen. Allerdings wird bei Kaiser aus der scharfzüngigen politischen Satire ein harmloser fastnächtlicher Spaß. Seine Tierfiguren, Gans und Bär, sind verkleidete Menschen und stehen für nichts anderes. Nur die Katze ist Symbol, nicht Verkleidung, und steht für den Verein: Sie geht auf ihren vier Pfoten (nicht aufrecht auf zwei Beinen wie Gans und Bär). Sie trägt Prinz Karneval (an seiner Narrenkappe erkennbar), der die Vereinsfahne präsentiert.

Im Lauf der jüngsten Vereinsgeschichte änderte sich dies aber wieder. Vergessen waren nun die schrägen Töne („Katzenmusik“) des Anfangs, denn nun hatte man eine professionell und wohltönend instrumentierte Stadtharmonie. Vergessen auch die Herkunft aus dem Proletariat, die wohl anfangs eine Rolle spielte, weil man nicht in der bürgerlich geprägten Narrozunft mitfeiern konnte. Heutzutage sind alle Milieus im Verein willkommen. Und so fand man, dass sich die Vereinsmitglieder durchaus als Katzen verkleiden konnten, die ja den Namen für den Verein gaben. Vor nicht allzu langer Zeit entschied man sich sogar für eine neue Katzenscheme (Abb.), die im Prinzip alle Mitglieder tragen können. Kater-oder Katzenköpfe trugen bis dahin nur der „Kater Miau“ und die „Stammeltern“.

Katzenrolli der Villinger Katzenmusik, Foto: T. Schaaf

Und hier schließt sich der Kreis zum Anfang, denn deutlich ist der Einfluss von modernen Comicfiguren in diesem neuen Entwurf zu erkennen: Kater Sylvester, der Speedy Gonzales, „die schnellste Maus von Mexiko“ jagt, hat dieselben hoch gezogenen Brauen und aufgerissenen Augen, fletscht die Zähne oder lässt voll Vorfreude seine Zunge sehen. Der Einfluss zeitgenössischer Zeichenkunst auf die jeweiligen Schöpfer der Villinger Narrenfigur Katze/Kater ist nicht von der Hand zu weisen, ob es sich um einen französischen Karikaturisten des 19. Jahrhunderts oder seine amerikanischen Nachfahren im 20. Jahrhundert handelt.

Comicfigur Sylvester, Warner Bros., Foto: Art of Drawing / Alamy Stock Foto

[1] J.J. Grandville. Karikatur und Zeichnung. Ein Visionär der französischen Romantik, Karlsruhe, Hannover 2000, S. 25
[2] vgl. Anita Auer: Höllenlärm und Marschmusik. Ein Verein zwischen Wildheit und Zähmung, in: Älles für d´Katz. 150 Jahre Katzenmusik Verein „Miau“ Villingen 1872 e.V., Villingen-Schwenningen 2021, S.10-17
[3] Der politische Protest der „kleinen Leute“ wird übrigens bis heute in dieser Form geübt. So berichteten am 25.11.2021 die Nachrichten über einen Protest gegen den Verfall der türkischen Lira: Die Protestierenden machten durch Schlagen auf Pfannen und Töpfe ihrem Unmut Luft.