Am 12. Mai 1920 schrieb Albert Säger, Malermeister in Villingen, eine Liste mit obigem Titel. Er war 54 Jahre alt. Er hatte vor einem Jahr seinen Betrieb verkauft und lebte vom Erlös dieses Verkaufs und von wenigen Aufträgen, die er noch übernahm. Der Erste Weltkrieg lag zwei Jahre zurück, noch immer herrschte in Villingen Arbeitslosigkeit, und die Wirtschaftslage war schwierig. Was bewegte Säger, seinen Hausstand zu bilanzieren? Vielleicht eine Ahnung, dass er nicht mehr lange leben könnte (er verstarb 1924)? Vielleicht eine etwas komplizierte familiäre und Wohnsituation?
Das Wohn- und Geschäftshaus der Sägers in der Rietstraße 30 wurde 1858 von Rudolf Säger, dem Vater Alberts, erworben. Rudolf und seine Frau Josepha, geborene Häßler, hatten drei Kinder: Luise, Albert und Marie. Luise blieb unverheiratet, Albert heiratete spät, 1906, mit 40 Jahren, Marie heiratete und wurde schwanger. Ihr Mann starb jedoch vor der Geburt der Tochter, so dass Marie wieder zurück in das elterliche Wohnhaus zog: eine Großfamilie, Eltern, Kinder, ein Kindeskind. 1905 starb der verwitwete Familienpatriarch Rudolf. Albert heiratete 1906 die Witwe des Glasermeisters Flaig mit drei Kindern: Ernst, Waldemar und Hedwig. Sie lebten zuvor in der Rietstraße 18 und zogen nun in die Rietstraße 30. Luise, die Schwester Alberts, zog in die Rietstraße 18, vermutlich ein Wohnungstausch. Marie und ihre Tochter Johanna blieben. Deren Nachkommen bewohnen bis heute das Haus.
Das Verzeichnis enthält durchnummeriert Möbel, Kunstgegenstände, Bücher. Um die Gegenstände eindeutig zu machen, wurden sie näher beschrieben und ihr gegenwärtiger Standort, z.B. Atelier, Laube, Speicher etc. vermerkt. Manchmal nannte Säger den Vorbesitzer, z.B. „von meiner Schwester Marie gekauft“ oder „von Frau Spediteuer Höld gekauft“, wahrscheinlich um zu belegen, dass er der Eigentümer war. Das Verzeichnis beweist uns heute: Es war ein großes Haus mit vielen Zimmern und vielen Möbeln, Albert liebte Bücher und Gemälde. Er besaß Dinge, die seine Reisen begleiteten: „zwei Reise-Weckeruhren“, eine „schwarzlederne Reisetasche … mit Riemen“. Sein Atelier wird uns vor Augen gestellt: „ein Bücherschrank… ein gepolsteter Hocker… Staffeleien, Rahmen, Cartons, Farben u. Pinsel, eine Anzahl fertiger Gemälde mit meinem Namen bezeichnet; Aquarelle in zwei Mappen Naturaufnahmen in Tempera 72 x 85 cm auf Papier: Querformat 86 Blatt Hochformat 30 Blatt… 1 Oelgemaelde Studierkopf mit rothem Bart…, 1 ditto Portrait des + Ludwg. Parthenschlager… eine alte Dorfschmiede… u. verschiedene Gipsmodelle u. Wappensiegel, eine Hobelbank mit Zubehör“.
Das Verzeichnis ist handgeschrieben, nicht immer leicht zu entziffern. Es ist 104 Jahre alt. Könnten davon noch Gegenstände existieren? So las ich: „Nr. 4 Ein Schreibpult auf dem Deckel das alte Schloss „Kirneck“ gemalt u. 1 Untersatz dazu mit 4 Schubläden u. 1 größeren.“ und war wie elektrisiert: Ist das nicht der Sekretär bei uns im Depot? Er hat keine Inventarnummer. Ich hatte ihn schon mal versucht zu recherchieren, da ich immer wieder an ihm vorbeigehe, aber nichts gefunden.
Die Beschreibung von Säger, vor allem was die Anzahl und Größe der Schubladen angeht, stimmt, die Bemalung auch. Wie kam der Sekretär ins Museum? Wir wissen es (noch) nicht. Jedenfalls wurden in neuerer Zeit die Schubladen ersetzt und der Fuß links. Im Vergleich zu Schermers Stich1 gibt es viel mehr Personen und erzählerische Details: Jemand blickt aus dem Fenster im 1. Stock des Gebäudes rechts, ein Jäger trägt sein Wildpret, zwei Reiter galoppieren daher, ein Wanderer geht zur Herberge, links bläst ein Herter in ein Herterhorn, sein Hund eilt voraus. In Sägers Verzeichnis steht nichts über den Maler, den er – wo er ihn weiß – sonst nennt. So ist anzunehmen, dass die Bemalung der Klappe des Sekretärs weder von ihm selbst noch von einem seiner Vorfahren stammt. Ein besonderer Fund ist es allemal.
Im Besitz der Nachfahren von Säger gibt es noch weitere Möbel, die im Verzeichnis genannt sind, und die in der Ausstellung „Die Welt von Albert Säger“ zu sehen sind: „23. Ein Polster-Klappstuhl“ und „26. ein gepolsteter Hocker im Atelier“.
Laut Auskunft der Nachfahren von Albert Säger saßen auf dem Faltstuhl die Auftraggeber oder das Modell, auf dem Hocker Albert Säger selbst während des Porträtierens.
Von den Kunstgegenständen haben sich ebenfalls einige erhalten. In der Ausstellung sind folgende zu sehen: „38. Die Madonna del (sic!) sedia n. Raphael“, „39. Ein Kreuzigungsgruppe Oelgemähle in Goldrahmen v. mir copiert u. signiert 1892“, „Oelgemähle Portrait meines verstorbenen Vaters mit Goldrahmen“, „44. der reiche Türke v. Rembrandt von mir copiert“, „47. Ein Kinder-Portrait v. Walther Thor von mir copiert“, „1 … Portrait des verstorbenen Ludwg. Parthenschlager im Atelier“. Das letztere befindet sich in der Sammlung des Franziskanermuseums. Auf der Rückseite des Porträts ist vermerkt, dass Säger es „nach der Natur“ gefertigt hat. Dies bedeutet, wir dürfen uns vorstellen, dass der Steinhauer Parthenschlager im genannten Faltstuhl Platz genommen hat: in seiner Arbeitskleidung, mit dem Hut auf dem Kopf. Mit seinen blauen Augen und dem etwas abwesenden Blick saß er geduldig Säger Modell, der ihm gegenüber auf dem Hocker kauerte.
Das Verzeichnis Albert Sägers gibt uns heute einen Einblick in seinen Hausstand. Es endet mit Nr. 55, wobei er noch einige Gegenstände ohne Nummern anhängt. Möglicherweise hatte er das Verzeichnis später ergänzt. Es reicht bei weitem nicht an die 10.000 Dinge heran, die ein heutiger Europäer angeblich durchschnittlich besitzt. Es ist nicht detailliert genug, zählt nur die großformatigen und wertvollen Gegenstände auf. Dennoch haben sich erstaunlich viele Gegenstände nach über 100 Jahren noch erhalten. Nicht im Verzeichnis aufgeführt sind beispielsweise seine Lupe, sein Lineal und diverse Zirkelteile.
All diese Gegenstände eröffnen uns Heutigen die Möglichkeit, in „Die Welt des Albert Säger“ einzutauchen.
- vgl. Peter Graßmann: „Der Überfall von Züricher Kaufleuten…“, im Begleitbuch zur Ausstellung, S. 85 ↩︎