Das Franziskanermuseum konnte 2024 mithilfe von Landesmitteln innerhalb des Förderprogramms „Sammlungsqualifizierung“ und durch den Einsatz interner und externer Kräfte die Gemälde im Depot nachinventarisieren. Dadurch wurde ein wichtiger Teil der stadtgeschichtlichen Sammlung in die Datenbank des Museums eingepflegt. Er ist nun in jedem Fall mit den Grunddaten erfasst und leicht recherchierbar. Inzwischen wurden die Basiseinträge nochmals überarbeitet, indem die alten Inventareinträge überprüft und ggf. die Neuerfassungen ergänzt wurden. Was sich vielleicht etwas trocken anhört, kann anhand folgender Porträts aus dem 18. Jahrhundert verlebendigt werden.

Porträt Jean-George (K(C)arl Johann Georg) Reiss oder Reuss d. J. (1730-1810), Anna Hedwig von Schorlemmer, genannt Clüsenerin (geb. 1706), 1730, Franziskanermuseum Inv.Nr. 16059, Foto: visual artwork

Das erste Porträt zeigt eine Adlige in herrscherlicher Haltung und Halbfigur. In ihrer weiß gepuderten Perücke sitzt wie ein Krönlein ein Haarreif aus schwarzer Spitze (Fontange?) mit seitlichen Perlenanhängern. Das blaue, tief dekolletierte Kleid ist korsettiert und hat ellbogenkurze Pagodenärmel, unter denen die weiße Hemdmanschette hervorquillt.

Das Gemälde ist auf der Rückseite wie folgt beschriftet, wahrscheinlich vom Maler selbst: „Anna Hedwig Clüsenerin. / Aetat. 24. / fait par Reis le jeune / peintre du Cabinet / Ao 1730“, übersetzt: „Anna Hedwig Clüsenerin / im Alter von 24 / gemacht von Reis dem Jüngeren / Hofmaler / im Jahr 1730“. Diese Angaben lassen vermuten, dass es einen Reis den Älteren gab. In dieser Zeit waren noch verschiedene Schreibweisen des Nachnamens Reis(s) und Reuss üblich. Tatsächlich gibt es einen Eintrag in der Herzog August Bibliothek zu Karl Johann Georg Reiss/Reuss (d. J.), darin die Lebensdaten 1730-1810 (geb. in Rothenburg o. T.), dass er „um 1746-76 Hofmaler in Bayreuth“ war und der Sohn von Johann Conrad (d. Ä.), der ebenfalls Hofmaler in Bayreuth war (1).

Ein weiteres – zugehörig erscheinendes, aber 20 Jahre jüngeres – Halbfigurporträt zeigt Johann Arnold Schorlemmer, genannt Clüsener. Formal ähneln sich die Porträts auffallend. Beide Porträtierten schauen den Betrachter aus den Augenwinkeln an, sie von links, er von rechts. Auch sind beide in eine rotes bzw. blaues Tuch gehüllt, das asymmetrisch und dekorativ über die höfische Kleidung gelegt und mit einer Hand gehalten oder präsentiert wird. Diese Draperien, die eine antikische Gewandung andeuten, sind als Hoheitszeichen zu deuten. Es handelt sich demnach um offizielle Porträts. Mit wem haben wir es zu tun? Einem Ehepaar? Die Frau ist 17 Jahre älter als der Mann. Das wäre möglich, weil in diesen Kreisen aus dynastischen Gründen geheiratet wurde. Aber es könnten auch Verwandte, z. B. Mutter und Sohn sein, vor allem, da sie sich in Augenfarbe und -form gleichen.

Porträt Jean-George (K(C)arl Johann Georg) Reiss oder Reuss d. J. (1730-1810), Johann Arnold von Schorlemmer (1723-1784), genannt Clüsener, datiert 1750, Franziskanermuseum, Inv.Nr. 16060, Foto: visual artwork

Auf der Rückseite des Männerporträts sind nicht nur die wichtigen Angaben zum Dargestellten, seinem Alter (36 Jahre) und die Datierung des Bildes, sondern auch zum Maler „Jean George Reiss / le jeune. / Peintre du Cabinet“ erhalten. Außerdem haftet auf der Rückseite ein Zettel mit dem Stammbaum der Familie. Er wurde in einer Schrift der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verfasst. Aus ihm lässt sich einiges über die Beziehungen der Dargestellten erschließen: Schorlemmers Lebensdaten und Betitelung als „Markgräflich Ansbach-Bayreuther Commerzienrath in Rothenburg o. T.“ sowie Angaben über seinen Vater „Jakob Philipp von Schorlemer/ auf Brokhoff und Frederhardskirchen genannt Clüsener / Bürgermeister in Lippe (Westfalen) 1680-1737“. Hier wird auch auf dessen Namensänderung „wegen Übertritts zur evangelischen Religion“ hingewiesen. Bei Wikipedia findet man zu Schorlemer: „Name eines alten westfälischen Adelsgeschlechts. Die Herren und Freiherren von Schorlemer gehören zu den bedeutendsten Geschlechtern des westfälischen Uradels“ (2). Seit dem 14. Jahrhundert trat eine Linie der Familie unter dem Namen „Klusener“ auf.

Weiter heißt es zu Johann Arnold im Stammbaum: „vermählt mit Maria Appolonia Sonnenmeyer, verwitwete Schalk“. Auch von Maria Appolonia ist ein Porträt in unserer Sammlung erhalten. Es kam mit demselben Nachlass ins Franziskanermuseum wie die beiden anderen.

Porträt J. C. (Johann Conrad) Reiss oder Reuss d. Ä. (1693-1779), Maria Appolonia Schalk (geb. 1707), datiert 1744, Franziskanermuseum, Inv.Nr. 15705, Foto: visual artwork

Das Halbfigurporträt zeigt eine Frau mit sorgfältig in den Details abgestimmter Garderobe. Sie trägt ein korsettiertes, tief ausgeschnittenes Silberbrokat-Kleid mit ellbogenlangen Ärmeln mit Aufschlag. Aus den Ärmeln schauen die Spitzenmanschetten des Hemdes, die mit einer blau-goldenen Schleife verziert sind. Aus demselben Material ist das Band der weißen Spitzenhaube, unter der weißgepuderte Löckchen an den Seiten hervorsehen. Der goldbraune Vorstecker weist eine spitze Schneppe auf, darunter ist der weite, weiße Rock angesetzt. Einziger Schmuck ist ein goldener Ring an der linken Hand – der dem des Herrenporträts gleicht: eine Blüte aus im Rund angeordneten Diamanten mit – hier allerdings hellblauem – Stein in der Mitte – und eine mehrfach eng um den Hals geschlungene Goldkette mit rautenförmigem Anhänger und Perle. Durch die Haube, den entspannten Gesichtsausdruck und den Blumenstrauß wirkt das Porträt weniger formell als die beiden vorigen. Auch der Malstil ist ein anderer.

Das Porträt ist wieder auf der Rückseite vom Maler signiert. Es handelt sich um einen Reiss, aber mit den Initialen „J. C.“. Zum Maler J. C. Reis(s) steht im einschlägigen Künstler-Lexikon von Thieme-Becker nur: „Maler, 1751“ (3). Die Autoren des Lexikons kennen – um 1950 – einen einzigen Beleg, ein 1751 datiertes „schönes Kostümbild, Halbfig.-Bildnis der M.B. Specknerin“ aus einer Münchner Versteigerung. „J. C.“ steht für Johann Conrad, also den älteren Reiss. Er ist 1693 in Rothenburg ob der Tauber geboren und 1779 in Erlangen gestorben (4). Beide Reiss scheinen eine Vorliebe für „schöne“ Halbfigurenporträts und das Gendern des Nachnamens gehabt zu haben, was im 18. Jahrhundert durchaus üblich war.

Auf der Rückseite ist auch die Dargestellte bezeichnet: „M. A. Schälckin / eine gebohrne Sonnen.Meyerin / nata d. 1. Decembr. 1707“, also Maria Appolonia Sonnenmeyer, geborene Schalk. Sie ist nur um ein Jahr jünger als Anna Hedwig. Könnte sie ihre Schwiegermutter gewesen sein? Meine These wäre: Das Porträt von Anna Hedwig von 1730 könnte tatsächlich für eine Ahnengalerie konzipiert sein. Das Porträt von Maria Appolonia 1744 könnte aus Anlass der Heirat mit Johann Arnold entstanden sein. Maria Appolonia war damals 37, Johann Arnold 21. Maria Appolonia trägt ein Blumensträußchen in der Linken mit einer Rose (Symbol der Liebe) und Vergissmeinnicht (Zeichen „zärtlicher Erinnerung“). Das Porträt hat einen privateren Charakter als die beiden anderen. Als Johann Arnold sich 1750 porträtieren ließ, war er 36 Jahre alt. Die formalen Bezüge zum Porträt von 1730 sind eindeutig. Vielleicht setzte er mit diesem Porträt eine Ahnengalerie der Schorlemmer fort.

Über den Titel „Markgräflich Ansbach-Bayreuther Commerzienrath“ von Johann Arnold Schorlemer ist der Bezug zum Hof von Bayreuth gegeben. Der Titel wurde im 18. Jahrhundert an Personen verliehen, die sich um Handel und Wirtschaft verdient gemacht hatten. Zum Hof von Bayreuth gehörten die beiden Reiss/Reuss, die auch in Rothenburg ob der Tauber, dem Wirkungsort von Schorlemer, geboren sind. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die beiden Reiss/Reuss ihre Heimatstadt immer wieder besuchten und dabei wahrscheinlich die Porträts entstanden sind. Rothenburg ob der Tauber und Bayreuth sind ca. 180 km voneinander entfernt, Erlangen liegt auf halbem Weg.

Mit den drei Porträts konnte das Wissen um die beiden Maler Reiss/Reuss zusammengefasst und erweitert werden. Die Dargestellten und die Bezüge zueinander sind deutlicher, wenn auch nicht vollkommen geklärt. Die Gemälde bieten einen kleinen Einblick in das Leben einer privilegierten Schicht im 18. Jahrhundert, deren Selbstdarstellung und Repräsentationsbedürfnisse. Unerforscht ist noch, wie die Gemälde in die Sammlung kamen.

Das Franziskanermuseum zeigt 2026 die Sonderausstellung „Schätze aus dem Depot“, in der man die Originale dieser Gemälde selbst in Augenschein nehmen kann.

(1) https://portraits.hab.de/werk/27213, abgerufen 10.07.2025. Diesen Hinweis verdanke ich Peter Graßmann.

(2) abgerufen am 09.07.2025

(3) Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart, begründet von Ulrich Thieme und Felix Becker, hrsg. v. Hans Vollmer, Leipzig o. J.

(4) Thomas Engelhardt: Die Kunst des Porträts, Ausstellungskatalog des Stadtmuseums Erlangen, 2008, S. 30. Auch dies hat Peter Graßmann recherchiert.