Die Glosse im Blog über den nicht
alltäglichen Arbeitsalltag im Museum

Dieses Mal: Destruktivismus – die Lust an der Zerstörung im Museum

„Sie arbeiten im Museum? Was für ein toller Arbeitsplatz!“ assoziiert der Gesprächspartner im Austausch der gegenseitigen beruflichen Situation gerne. Man könnte neidisch werden! Den ganzen Tag umgeben von Kunst und Kultur in einem schönen Haus. Es wird geforscht wie schon seit Jahrhunderten in herrschaftlichen Räumen, die Wände geziert von Literatur und Akten. Nur die Computer auf den Schreibtischen künden von der Jetztzeit.  Umgang mit Kunst erfordert Handling mit Ruhe und Bedacht, die weißen Handschuhe sind stets griffbereit. Alle Aufgaben erfolgen im Dienst der Erhaltung des kulturellen Erbes und seiner Vermittlung an die Gesellschaft.
Ach wirklich? Dass das beileibe nicht immer so ist, muss an dieser Stelle einfach mal erzählt werden. Denn die Realität ist irgendwie  immer so herrlich anders.

Zum Einstieg deshalb gleich ein hammerhartes Thema. Destruktivismus im Museum. Was in aller Welt ist damit gemeint? Vandalen, die sich ungebeten Zutritt verschaffen? Uneinsichtige, eisessende Gäste des Hauses mit Hunden im Schlepptau, die sich von der Tourist-Information im Foyer aus statt zu den WC-Anlagen in die Ausstellungsbereiche verirren? Jugendliche auf Mutprobentour, die den Aufmerksamkeitsfaktor der Aufsichten testen? Hochzeitsgäste, die im angemieteten Kapitelsaal den Versuch starten, Sekt in die Schubladen der Altertümersammlungs-Vitrine fließen zu lassen? Einbrecher auf Diebestour nach einschmelzbaren Goldobjekten? Mitnichten. Es geht hier tatsächlich um die Mitarbeiter, die hauseigenen Leute im Demolitions-Modus. Und die Tatsache, warum Museum ohne eine gewisse Wollust an Zerstörung nicht funktionieren würde.

Ein bisschen ähnelt dieses Befinden dem Sandburgen-Syndrom. Tage und Wochen wird an einer Ausstellung gefeilt, die aufwendigste Architektur gebaut, perfektioniert, optimiert. Und immer soll die Ausstellung dieses Mal noch ein bisschen schöner und besser als ihre Vorgänger werden. Am Tag der Eröffnung steht man nach Wochen von Blut, Schweiß und Tränen stolz vor dem Ergebnis. So weit, so gut. Aber dann ist plötzlich sechs, acht oder 12 Wochen später die Laufzeit der Ausstellung vorbei – und Zack! wird die ganze Installation, deren Unversehrtheit man bis am Tag zuvor eifersüchtig verteidigt und beschütz hat, binnen Tagen oder gar Stunden zerlegt, demontiert, zerstört. Natürlich wird wiederverwendet, was geht, doch der Container im Hof ist schnell gefüllt. Vieles ist eine Sonderanfertigung, und schließlich kann man keine riesigen Lagerhallen unterhalten, in denen man die für die eigentlichen Exponate geschaffenen Hüllen und Kulissen auf ewig bewahren könnte. Versuchen Sie erst mal, überhaupt Lagerhallen für die eigentlichen Exponate in Form eines Depots zu bekommen! Also her mit dem schweren Gerät, Sicherheitsschuhe den Zehen zuliebe nicht vergessen und dann fleißig zerlegt.

Kurz darauf sind die Räume wieder leer und sauber. Sie laden ein, die nächste Ausstellung darin zu bauen. Es ist eine wichtige Art von Gleichgewicht – ein Vergehen und Entstehen. Die ganze Energie des Aufbaus, die sich in den vorsichtigen Bewegungen staut, im diffizilen und feinmotorischen Handling der Exponate – sie darf sich am Schluss geballt entladen. Natürlich erst dann, wenn alle Exponate wieder an ihre ursprünglichen Standorte zurückgekehrt sind, zu den Leihgebern und in die Depots… Sie sollen, wie auch der Besucher, diese destruktiven Phasen nicht mitbekommen. Das bleibt alleine die Welt der Museumsmitarbeiter. Ähnlich, wie wir beim Metzger bitteschön auch nur die gepflegte Auslage gezeigt bekommen möchten, und nicht, was sich in der Produktion dahinter abspielt.  Anders ist es vielleicht beim Aufbau einer Ausstellung, wo der Prozess des Wachsens und Entstehens seinen Reiz ausübt, exklusiv  einen „Vorab-Blick“ erhascht zu haben.

Museum aus der Sicht der Besucher ist heile Welt. Die einzige Berechtigung zu verstören liegt möglicherweise im Thema einer Ausstellung selber. Museum aus der Sicht derer, die dort arbeiten, ist dagegen manchmal ein Fall für den großen Hammer. Und kann entsprechend laut sein. Wir bemühen uns aber, die ganz lauten Arbeiten möglichst am Montag zu machen. Wenn das Museum geschlossen ist.  Der heilen Welt unserer Besucher  zuliebe – versprochen!