Die vier Villinger Künstler des Expressionismus, die in der Ausstellung „Lust und Leidenschaft, Schmerz und Enttäuschung“ noch bis zum 13. Oktober im Franziskanermuseum zu sehen sind, haben auch Spuren im Stadtbild Villingens hinterlassen. Einiges ist verschwunden, manches versteckt und nicht so einfach zugänglich. Hierzu zählt ein Wandbild Richard Ackermanns im Treppenhaus der Südstadtschule.

Richard Ackermann, Triptychon, Südstadtschule, Foto: Michael Raub

Es ist in Form eines Triptychons, also eines dreiteiligen Altarbildes mit einem gemalten Sockel (Predella)  angelegt. Der Mittelteil zeigt die Baar, die Seitenflügel (die aber unbeweglich sind) den Schwarzwald und die „RAUHE ALB“. In den fünf Einzelbildern des Sockels wird ein Stück Stadtgeschichte behandelt (von links nach rechts): „BIGGIBOGENBRÜCKE“, „ROMEIUS MIT DEM TORFLÜGEL“,  „KUHREIHENBLÄSER“ „KAPUZ.KLOSTER U. NIEDERTOR“ und „BIGGITORERKER“.

Wie bei den Entwürfen eines Kreuzwegs in der Heilig-Kreuz-Kirche arbeitet Ackermann wieder mit dem Zusammenspiel von Wort und Bild. Nur dadurch wird deutlich, dass die zentrale Landschaftsdarstellung nicht eine Landschaft zeigt, sondern drei benachbarte, die ineinanderfließend auf einer Darstellung komprimiert sind. Jeweils typische Eigenschaften von Flora und Fauna werden am vorderen Bildrand herausgestellt. Wie auf einer Folie befinden sich nahezu in einer Ebene Eule und Reh des Schwarzwalds, die Störche der Baarlandschaft und der Raubvogel und das Wildschwein mit der sich windenden Menschenreihe dahinter, die wohl einen Schäfertanz darstellt (Alb). Diese Motive wirken als „Teaser“ für das kindliche Zielpublikum.

Die Baar bildet das Zentrum, auf das sich Blick- und Laufrichtung von Tieren und Menschen orientieren. Dennoch wirkt die Gesamtkomposition durch die Symmetrie nicht statisch, sondern es entsteht von links vorne nach rechts hinten eine Art Tiefensog. Die linke  Fichte dient als Repoussoir, als ein Blickfang für den Betrachter, der sich an dieser Stelle wähnt. Er hat also den Schwarzwald im Rücken und blickt auf die nah-ferne Baar und die weiter entfernte Schwäbische Alb. Erde und Himmel nehmen ungefähr gleich viel Raum im Bild ein, so dass die Strukturen des Himmels diese Tiefenführung unterstützen.

Richard Ackermann führte den Auftrag für dieses Fresko in der neu gebauten Südstadtschule 1954 aus. Die Stadt Villingen bedachte ihn mit diesem Projekt nach einer Phase, in der es Ackermann finanziell nicht gut ging. Der Künstler, der sich sonst keinem Auftraggeber unterordnete, schien dafür auch bereit, eine Art ideales didaktisches Kunstwerk für diesen Kontext herzustellen. Die dargestellten Inhalte entsprechen dem Bildungskanon der zeitgenössischen Grundschule: die weitere heimatliche Landschaft mit typischen Tieren und Pflanzen, aber auch Gebräuchen als Hauptbild und im Sockel die nahräumliche Umgebung, das vergangene Stadtbild Villingens mit seinen architektonischen Höhepunkten, Sagen, Brauchtum, Musik, Dialekt.

Bei diesen „Villingensia“ bedient sich Ackermann seines schon erarbeiteten künstlerischen Motivschatzes: Natürlich spielt der Stadtheld Romäus, sein „Spiegelbild“, eine Rolle. Mit höchster Dynamik fliegt er geradezu – das Rottweiler Stadttor geschultert – über die Landschaft. Vielleicht drückt sich darin Ackermanns eigene Gestimmtheit in dieser Zeit aus.

Bickentorerker, Bickenbogenbrücke und Niederes Tor existieren 1954 bereits seit längerem nicht mehr. Ackermann kennt die Ansichten aus Darstellungen seines Großvaters Dominikus Ackermanns d.J. Er wandelt sie leicht ab, indem er zum Beispiel eine andere Perspektive wählt. Das kindgerecht Idyllisierende der Tierdarstellungen im Hauptbild wird im Sockel auf die Geschichtsdarstellung übertragen. Mit leicht verklärtem Blick lässt Ackermann die Vergangenheit in kleinen Szenen Revue passieren. Diese Veduten sollen sich ins kollektive Gedächtnis der Schülerinnen und Schüler einprägen. Möglicherweise spiegelt sich hierin aber auch die Haltung des Auftraggebers.

Heimatkunde war in den 1950er Jahren  das zentrale Fach des Grundschulunterrichts. Es orientierte sich häufig an Klischees von Ländlichkeit und Landleben und vermied eskapistisch die Auseinandersetzung mit den  Problemen der Gegenwart. Das „geistige Wurzelgefühl“, das Heimatkunde in der Zeit der Weimarer Republik und NS-Zeit vermitteln sollte, wirkte noch nach. Der versteckte Appell könnte so formuliert werden: „Schau, von da kommst du her, dies ist die Scholle deiner Väter und Vor-Väter“. Das änderte sich erst im Lauf der 1960er Jahre. So wird 1969 wird die Fachbezeichnung „Heimatkunde“ abgeschafft.

Durch die Wahl der Pathosformel des dreiteiligen Altarbildes wird die Darstellung von „Heimat“ zusätzlich gehöht, obwohl das Triptychon von zeitgenössischen Künstlern wie Otto Dix, Oskar Kokoschka und Max Beckmann auch in nicht-religiösem Zusammenhang verwendet wird. Die Platzierung auf halber Treppe ermöglichte eine tägliche Begegnung mit dem Wandbild. Sowohl die herein- als auch herausströmenden Schülerinnen und Schüler sahen es. Auch ein anderes Wandbild in einer anderen Schule, dem Gymnasium am Romäusring, nutzte die wichtige Verkehrsfläche im Treppenhaus für eine ähnliche geographisch motivierte politische Indoktrination. Eine hochwertige Reliefkarte aus Holz vermittelte hier die Grenzen zwischen Deutschland und Frankreich im Kaiserreich, der Entstehungszeit der Schule und zwar noch lange über diese Zeit hinaus. Der Ort Schule wurde nicht einfach ausgeschmückt, sondern auch an Stellen, an denen man nicht damit rechnete, didaktisch aufgeladen.

Reliefkarte im Treppenhaus des Gymnasiums am Romäusring

War also die Botschaft von Ackermanns Wandbild eher konventionell, blieb der Künstler doch im Darstellungsstil unangepasst und sich selbst treu.  Seine manieristischen Konturen und Binnenzeichnungen, die Nadelwerk wie Lettern, Wolken wie bizarre Schnörkel wirken lassen, zeichnen unverkennbar seine Handschrift aus.  Hierdurch gewinnen Bäume Menschenähnliches, ihre Zweige scheinen nach etwas zu greifen, die Luftmassen wirbeln schwungvoll am Himmel, bringen Bewegung ins Bild und die Farbgebung des Hauptbildes weicht expressiv von der „natürlichen“ ab, – sicherlich ein ungewöhnliches Wandbild in einer Schule der unmittelbaren Nachkriegszeit.