Ein Gastbeitrag von Rudolf Reim


Im August, genau am 12., wird jedes Jahr der „Vinyl Record Day“ gefeiert. Der „Tag der Schallplatte“ soll auch der Tag gewesen sein, an dem Thomas Edison 1877 den Phonographen erfand. Ob es darüber hinaus einen Bezug zum ebenfalls am 12.8. begangenen Welttag des Elefanten gibt? Die Schallplatte ist ein besonderer Träger von Musik, wie der Elefant auch ein besonderer Träger von Mensch und Last sein kann.

Seit einigen Jahren wächst die Fangemeinde um die Vinyl-Platten wieder stetig. Neben den Neuauflagen von Klassikern kommen zahlreiche Neuerscheinungen als Vinyl-Pressungen auf den Markt. Gerade in Zeiten von klanglich eher minderwertigen Digital- und Streaming-Formaten eine gute Entwicklung.

Das Epizentrum der Schallplatten

Villingen-Schwenningen liegt im Herzen der Region, die gewissermaßen das Epizentrum der Schallplatten bildet. In den Jahren des Wirtschaftswunders war St. Georgen im Schwarzwald Welthauptstadt der Plattenspielerproduktion. Die Gemeinde liegt direkt an der Schwarzwaldbahn, was für die industrielle Entwicklung eine wichtige Voraussetzung war. Namen wie Dual oder Perpetuum Ebner (PE) sind dort zu Hause. Heute werden wieder für Kunden auf der ganzen Welt Plattenspieler hergestellt. Dual wurde 1907 von den Gebrüdern Steidinger gegründet. In den besten Zeiten waren über dreitausend Menschen damit beschäftigt, Plattenspieler zu bauen. PE wurde 1911 von Josef Steidinger gegründet, nachdem er sich von seinem Bruder und Dual getrennt hatte.

Glanz und Glamour im Städtle

Zum Plattenspieler gehört das Medium, auf dem die Musik transportiert und konserviert wird: die Schallplatte. In Villingen, in Sichtweite zur Brigach und unweit des alten SABA-Werkgeländes, versteckt sich mit dem MPS-Studio ein besonderes Kulturdenkmal, das gerade wieder zum Leben erweckt wird. MPS das steht für „Musik Produktion Schwarzwald“; ein Plattenlabel, das vor allem wegen seiner Jazzproduktionen mit Musikern aus der ganzen Welt bekannt wurde. Hervorgegangen ist MPS aus dem Schallplattenlabel der Firma SABA, das seit 1963 von Hans Georg Brunner-Schwer (für Einheimische und Kenner nur „HGBS“) betrieben wurde.

MPS-Studio in VS-Villingen (Foto: Lutz Hugel, visual-artwork)
Sitzgruppe im MPS-Studio (Foto: Lutz Hugel, visual-artwork)

Seit dem 50. Geburtstag des Studios im Jahr 2018 werden die heiligen Räume wieder für Studio-Konzerte geöffnet. Es ist großes Kino, Gänsehautfeeling, wenn man durch die unscheinbare Türe und die Holztreppe hinauf steigt, vorbei an Bildern bedeutender Musiker, an Urkunden und Auszeichnungen. Große Künstler wie Oscar Peterson, Horst Jankowski oder George Duke waren hier. Die Atmosphäre in dem Kulturdenkmal erinnert an die ruhmreichen Zeiten. Im Vorraum steht noch eine Sitzgruppe wie aus einem Humphrey-Bogart-Film. Es fehlt nur die Flasche Whiskey und ein Satz cooler Gläser und es wäre wie früher. Eine gute Zigarre gehörte sicher auch dazu. Die Technik von Siemens, Telefunken oder Ampex ist noch vorhanden, das ganze Ensemble im Originalzustand.

Das Studio-Konzert mit der großartigen Sängerin Petra Simone-Acker und dem Steven Reich New York Trio am 7. September 2018 war großes Kino. Ihr Titel „Don´t look back“ fordert auf, nicht zurück zu schauen. Aber hier machte es Freude, die guten alten Zeiten auf sich wirken zu lassen. Auch in diesem Jahr 2019 bestand zum Tag des offenen Denkmals die Möglichkeit, die Räume zu besichtigen. Und die Konzertreihe „Jazzin`the Black Forest“ war auch in diesem Jahr wieder ein voller Erfolg.

Im Franziskanermuseum wird die Geschichte von SABA im Detail und anhand zahlreicher Ausstellungsstücke nachgezeichnet. Auch die Musikproduktion wird dort gewürdigt. Ausgestellt ist neben einigen in Villingen produzierten Schallplatten wie „The Inner Source“ von George Duke auch eine Kopie des Besucherbuchs von HGBS, in dem sich die Größen verewigten. Ein Film erzählt anhand von Interviews und Originalaufnahmen die Geschichte des legendären Studios nach.

Im MPS-Studio produzierte Schallplatten, ausgestellt im Franziskanermuseum (Foto: Franziskanermuseum)
Autosammlumg Steim, Schramberg (Foto: Rudolf Reim)

Wenn Weltstars in Villingen weilten, um Aufnahmen zu machen und bei HGBS Gast zu sein, dann war „Glanz & Glamour“ im Städtle. Daran erinnern Fotos, aber auch alte, noble Karossen. Die seltenen Zeitzeugen automobiler Geschichte stehen heute in der Autosammlung Steim in Schramberg. Die außergewöhnliche Sammlung zeigt viele fahrbereite Oldtimer aus dem SABA-Fuhrpark. Mit diesen wurden die Künstler vom Flughafen in Zürich abgeholt oder durch den Schwarzwald chauffiert.

Schallplattenfieber in der Region

Digitale Musik ist Massenware geworden. Dagegen setzt die Vinyl-Schallplatte auf Wert und Ästhetik. Statt alles zu besitzen und nichts zu verstehen, ist hier weniger mehr, weil es in die Tiefe geht. Das ist wie bei Bier und Wein: Das Bier ist ein guter Durstlöscher, aber einen Wein genießt man. Eine Plattensammlung verbindet. Man erinnert sich an die Musik von früher, die Stimmung an den Sonn- und Feiertagen. Aber die Erinnerungen werden nicht nur hör-, sondern auch sichtbar, denn viele Cover sind echte Kunstwerke, von Künstlern, ja großen Künstlern wie Andy Warhol gestaltet. Diese waren prägend für die Zeit. Sie machten Mode oder Politik. Manche sind progressiv oder regen zum Nachdenken an.

Mitten in der Villinger Innenstadt, bei Gunnar Frey, kann man das sehen. In seinem Geschäft „Soundservice“ fühlen sich Freunde der Schallplatte wie im Schlaraffenland. Zigtausend Schallplatten, dazu neue und gebrauchte Plattenspieler aus St. Georgen, stehen in seinem Laden. Hier macht es Spaß zu stöbern, mit ihm zu fachsimpeln. Er ist ein Kenner der Szene, gibt die richtigen Tipps. Als „DJ Taste“ steht er am Abend hinter dem Mischpult und dem Plattenteller. In den gebrauchten Platten finden sich zuweilen Biografien der Nutzer, Konzertkarten oder alte Zeitungsausschnitte. Und auf dem Cover erinnert der Preis in DM an die „gute alte Zeit“.

Cover von Aretha Franklins Jimmy Lee / Aretha Mega Mix, gestaltet von Andy Warhol (Foto: Rudolf Reim)
Gunnar Frey mit dem Cover von King Crimsons „In the Court of the Crimson King“ (Foto: Rudolf Reim)

Das Schallplattenfieber hat in dieser Region viele erfasst. Es ist überall zu spüren und zu erleben. Im Café am Riettor zum Beispiel. Bei „Rudi“ beginnt der neue Tag mit einer Platte. Ein Cappuccino dort, wenn der Plattenteller hinter dem Tresen läuft, ist etwas ganz Besonderes. Da wird das mediterrane Feeling noch gesteigert. Das Cover der Platte, die gespielt wird, hängt wie ein Kunstwerk in einem Rahmen über dem Plattenteller. In seinem Café gibt es aber auch die Möglichkeit gleich zuzuschlagen. In Kisten hat er ausgesuchte Titel aus Gunnar Freys Sammlung vorrätig. Wie schön. Die großformatigen Fotos von Künstlern und die Live-Abende im Café zeigen, dass Rudolf Fürst-Maschek einen ganz besonderen Bezug zu Musik hat.

Rudolf Fürst-Maschek in seinem Café (Foto: Rudolf Reim)

Viele Kinder sind mit der Audiokassette, später dem MP3-Player und dann dem iPod groß geworden. Für diese Generation fällt die Schallplatte unter die Kategorie „Neue Medien“. Mit dem Revival gibt es nun ein generationsübergreifendes Medium. Das fängt an bei den Großeltern, die Schallplatten nur zu besonderen Anlässen aufgelegt haben. Der Musikkonsum war ein anderer. Viele haben die Platten nach Interpreten, Themen, Covern oder Genres gesammelt. Schöne und einzigartige Momente werden damit verbunden – über Generationen hinweg.

Nicht nur musikalisch ein Genuss

Wir kommen zurück nach St. Georgen im Schwarzwald. Dort steht das „Deutsche Phonomuseum“. Die Geschichte um die Erfindung der Phonographen, der Schallplattenspieler und der Vinyl-Platten wird dort lebendig.  Die ehrenamtlichen Helfer wie Wolfgang Winkler haben die großen Zeiten der Phonoindustrie in St. Georgen noch miterlebt und kennen viele herrliche Anekdoten dazu.

Der Autor im Deutschen Phonomuseum (Foto: Rudolf Reim)

Nur wenige Schritte vom Deutschen Phonomuseum, direkt am Bärenplatz, gibt es auch eine Schallplatte zu kaufen. Eine ganz spezielle. Über dem kleinen Schaufenster weist der Schriftzug „Schwarzwälder Genusswerkstatt“ schon den Eingang. Oliver Bittlingmaier und Dagmar Holzer fertigen dort einzigartige Kunstwerke aus Schokolade. Natürlich auch eine Schallplatte. Es ist zum dahinschmelzen und das leckere Stück zum Vernaschen.

Rudolf Reim