Im Jahr 1935 wandte sich der Kinobetreiber Robert König aus Lörrach mit dem Vorhaben an die Stadt Villingen, gegenüber dem Riettor ein neues Kino zu bauen. Er besaß bereits sechs Kinos, zwei davon in Villingen, letztere aber nicht mehr in zeitgemäßem Zustand. Es handelte sich um die „Hinterhofkinos“ Kammer-Lichtspiele und Union-Tonfilm-Theater.
Der Unternehmer König rechnete in Zukunft mit mehr Interessenten für ein großes, modernes Kino, da sich die Garnison vergrößern und durch den Bau des Kneippbads mehr Fremdenverkehr angezogen werden sollte. Ein Nebenaspekt war, dass die Nachbarstadt Schwenningen zu der Zeit bereits eine funktionierende Kinolandschaft besaß. So betrieb Jakob Grötzinger das Capitol in der Alleenstraße, auf dessen Parkplätze angeblich immer wieder Autos mit Villinger Kennzeichen zu sehen waren.
Die Verhandlungen mit der Stadt und der Reichsfilmkammer zogen sich sehr in die Länge. Hinzu kam, dass das Landesdenkmalamt Bedenken vorbrachte, weil der ursprünglich vorgesehene Bauplatz dem mittelalterlichen Stadttor gegenüberlag. Außerdem kam mit dem Schwenninger Kaufmann Ernst Lauffer, der Jakob Grötzinger vom „Capitol“ als Betreiber einsetzen wollte, ein Konkurrent um den Kinoneubau in Villingen ins Spiel. König war zwar im Kinogeschäft erfahren – seine anderen Kinos befanden sich in Lörrach, Schopfloch und Offenbach am Main –, aber er scheint ein bisschen unzuverlässig gewesen zu sein, jedenfalls beantwortete er die Fragen der Stadtverwaltung Villingen nicht oder nur nach längerer Zeit. Zudem erwartete er ein großzügiges finanzielles Entgegenkommen der Stadt, die dazu nicht ohne Weiteres bereit war. Der Schwenninger Lauffer hatte dadurch gute Chancen, wurde aber von der Reichsfilmkammer in seinem Elan „gebremst“. Sie argumentierte, es seien ja bereits zwei Kinos – die von König betriebenen – vorhanden, was für eine Einwohnerschaft von 16.000 und 2000 Mann Militär ausreichend sei. König hatte also einen Standortvorteil. Es lag in seinem Ermessen, eines der kleineren Kinos zu schließen, wenn man ihm den Neubau am Ring ermöglichte.
König kaufte, um die Sache voranzubringen, ein Grundstück am so genannten Paradiesplatz (vor dem Riettor). Dieses durfte er jedoch nicht bebauen. Der Kinobau direkt vor dem Stadttor wurde aus stadtplanerischer Sicht abgelehnt. Er wurde als unästhetisch und „erdrückend“ empfunden. In der Tat dachte man damals bereits daran, dass hier in Zukunft ein Verkehrsknotenpunkt entstehen könnte und wünschte sich eher kleine Ladengeschäfte, die den Blick der vorbeifahrenden oder an der Kreuzung wartenden Autofahrer auf sich ziehen würden. Nach längerem Hin und Her kam es zu einem Grundstückstausch. König gab sein Eckgrundstück an die Stadt, die Stadt ihres (das Flurstück, auf dem heute das Theater am Ring steht) an König und ließ zwei Wohnhäuser dafür abreißen, deren Bewohner zuvor – in einer Zeit der Wohnungsnot! – umgesiedelt werden mussten.
Bereits im Vorfeld, seit 1937, wurde über eine Mehrfachnutzung des Neubaus nachgedacht. Er sollte nicht nur als Kino, sondern auch als Theater genutzt werden, d.h. das Gebäude sollte für solche Zwecke von der Stadt angemietet werden können. Hierdurch wollte man kulturelle Vielfalt in einer Stadt, die sich für die Zukunft rüstete, gewährleisten. Aber zunächst rüstete man sich für den Krieg, und so kam es zu einer weiteren Bauverzögerung: Rohstoffe waren knapp. König wurde das für den Bau nötige Eisen und damit die Baugenehmigung verwehrt. 1939 wurde das Großkino endlich doch gebaut und zwar innerhalb von 19 Monaten. Als der Krieg ausbrach, stand gerade erst der Rohbau. Dennoch zogen die Architekten Carl und Berthold Nägele den Bau durch. Es wurde ein Zuschauersaal für 824 Besucher und eine Bühne mit 6 x 8 m² und Orchestergraben gebaut, die auch Kino-, Varieté- und Theatervorstellungen Raum bot.
Am 19.10.1940 wurde schließlich das „Theater am Ring“ glanzvoll eröffnet. In einem ganzseitigen Zeitungsbericht konnte man lesen, wie großartig die Ausstattung des neuen Theaters war. So verfügte es über „mehrere überaus kunstvoll gearbeitete Vorhänge“.
Einer davon war wohl der aus goldfarbenem Samt gearbeitete, von dem sich heute noch Reste im Franziskanermuseum befinden. Auf diesen Samtvorhang waren die vom Villinger Künstler Richard Ackermann entworfenen Masken „Komödie“ und „Tragödie“ appliziert. Eine lachende und eine weinende Maske gelten seit der Antike als Symbol für das Theater. Ackermann gestaltete mit diesen typisierten Gesichtsausdrücken den wohl für die Theatervorstellungen genutzten Vorhang. Die Masken sind in Reliefstickerei und Patchwork gearbeitet. Die Werkstatt, welche die Entwürfe ausführte, ist nicht bekannt. Im Ausdruck sind sie durchaus mit den Masken der Villinger Fastnacht, etwa einer Glattlarve und einem Surhebel, vergleichbar.
Bei der offiziellen Eröffnung war das Foyer noch nicht ganz fertig gestellt. Dieses umfasste auch eine Bar, die mit zwei 12-flammigen Bronze-Kronleuchtern, Marmortischen und bequemen Sesseln eingerichtet war. Außerdem wurden von Richard Ackermann 1941 vier Landschaftsgemälde gefertigt, die in die Vertäfelung des Foyers eingelassen waren. Sie bildeten Sehenswürdigkeiten und pittoreske Orte von Stadt und Umgebung ab und stellten gleichzeitig auch die vier Jahreszeiten dar. Da im Krieg ein Mangel an Ölfarben und Leinwand herrschte, experimentierte der Künstler mit neuen Materialien. Er verwendete Silikatfarben auf Zementfaserplatten. Die vier Gemälde sind noch bis 11. Oktober des Jahres im Franziskanermuseum innerhalb der Ausstellung „See und Schnee, Baum und Raum. Landschaften aus der Sammlung Heinzmann“ zu sehen.
Eine Leuchtschrift über dem Eingang signalisierte den Anspruch der neuen Veranstaltungsstätte „Theater am Ring“. Der melodramatische Eröffnungsfilm „Ein Leben lang“ mit Paula Wessely begeisterte nicht nur die Villinger Besucher, sondern wurde insgesamt ein Kassenerfolg. Die Offenburger Symphoniker spielten ebenfalls zur Eröffnung, so dass das Neben- und Ineinander von Lichtspiel- und traditionellem Theater und Konzerthaus, das noch viele Jahre anhalten sollte, einen beispielhaften Anfang nahm.
1954 starb Robert König. Die Stadt Villingen erwarb 1956 das Theater am Ring, so dass sie es nicht mehr für Theater, Oper, Operette und Sinfoniekonzert anmieten musste. Dennoch war die Situation nicht optimal. Schlechte Akustik, Garderoben und Heizung, bzw. Belüftung wurden beklagt, so dass 1971 der Umbau des Gebäudes unter Leitung der Architekten Nägele und Fuhrer beschlossen wurde. 1972 war dieser fertiggestellt. Die Bestuhlung war nun auf 879 Sitze aufgestockt. Das Gebäude bot zusätzlich Platz für das Verkehrsamt und die vhs. Während des Umbaus ging der Kinobetrieb sogar weiter. Der Vertrag mit der Firma König lief bis 1980, und selbst in den 1990er Jahren gab es noch Kinovorstellungen im „Theater am Ring“. Das Crossmediale der heutigen Zeit, wenn Theater Filme oder Romane umsetzt oder filmische Gestaltungsmittel – Filmmusik, Einblendung von Filmszenen – übernimmt, scheint in diesem aus heutiger Sicht seltsamen Konstrukt aus Theater und Kino vorweggenommen. Das Theater am Ring, das aktuell nicht mehr Kino ist, feiert in diesem Jahr 80-jähriges Jubiläum.
Ein sehr interessanter Beitrag über das Theater am Ring. Ich bin gespannt, wie sich die Geschichte des Hauses in Zeiten von knappen Mitteln im Haushalt der Stadt Villingen-Schwenningen weiter entwickelt.
Hoffen wir das Beste für ein gutes und abwechslungsreiches Kulturangebot in unserer Stadt.
Ich bin begeistert, dass ich über den Newsletter des Franziskaner Museums diesen sehr interessanten Bericht über die Geschichte des Theaters am Ring auch hier in Bad Harzburg lesen konnte. Das Theater am Ring fehlt mir sehr. Ich wünsche dem Theater am Ring weitere erfolgreiche Jahre im Kulturleben der Stadt Villingen-Schwenningen! Übrigens: Das Franziskaner Museum fehlt mir genauso sehr!
Auch von mir, herzlichen Dank für diesen wunderbaren Beitrag.