Ein Gastbeitrag von Dr. Arthur Mehlstäubler, Karlsruhe


Globalisierung und Crossover sind nicht erst Phänomene der Kultur des 21. Jahrhunderts. Bereits im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wurden die Stile vergangener Jahrhunderte wie auch die außereuropäischer Kulturen frei miteinander gemischt. So stellte man etwa im Schwarzwaldort Villingen damals Keramiken her, die man heute gerne in das 16. Jahrhundert oder in den Vorderen Orient verorten würde, deren Markenname aber tatsächlich lautete: Schwarzwälder Majolika. Das Franziskanermuseum besitzt eine größere Zahl dieser prachtvollen Objekte. Wie aber kam der Orient nach Villingen?

Johann Glatz, um 1900. Fotograf unbekannt. Stadtarchiv Villingen-Schwenningen

Die Geschichte beginnt und endet mit dem Keramiker Johann Glatz. Vom einfachen, armen Handwerksgesellen arbeitete er sich gesellschaftlich nach oben und erwarb schließlich mit der Herstellung von Majolika ein Vermögen. Am 8. Januar 1846 wurde er in Villingen geboren und hier absolvierte er wohl auch seine Ausbildung als Hafner. Anschließend erwarb er außerhalb der heimischen Stadtmauern Erfahrungen in seinem Beruf. Zurück in Villingen machte er sich 1870 mit Betriebsmitteln von gerade einmal 5 Gulden [1] selbständig, indem er die Werkstatt des Hafners Schmid in der Hafnergasse übernahm.

Johann Glatz setzte eine lokale Tradition fort. Seit dem ausgehenden Mittelalter bildete Villingen ein Zentrum der Töpferei des Schwarzwaldes. Die Hafnergasse in der Altstadt ist ein Relikt aus jener Zeit. Die Keramiker Hans Kraut, Josef Walser und im 19. Jahrhundert die in Villingen geborenen Robert Bichweiler und Carl Kornhas trugen ihren guten Namen auch weit über die Stadtgrenze hinaus. Johann Glatz ging ein hohes berufliches Risiko ein. Denn industriell produzierte Emaille und das unweit in Zell und Hornberg massenhaft hergestellte Steingut verdrängten zusehends die einfache, auf der Töpferscheibe gedrehte Hafnerware. So zeigte sich Johann Glatz offen gegenüber dem Vorschlag des Karlsruher Ingenieurs Franz Keller-Leuzinger. Wie ein Impresario hatte sich dieser begabte und kreative Dilettant verschiedenen kunstgewerblichen und künstlerischen Techniken zugewandt und versucht, diese zu verbessern. Darunter zählte auch die Keramik. Es war ihm maßgeblich gelungen, die in Heimberg (Schweiz) seit etwa 100 Jahren betriebene Majolika durch künstlerische Entwürfe wieder zum wirtschaftlichen Erfolg zu führen.

Kaiserschale, Entwurf: Franz Keller-Leuzinger, 1877, Ausführung: Johann Glatz. Franziskanermuseum Villingen-Schwenningen. Foto: Arthur Mehlstäubler

Ähnliches dachte er auch im Schwarzwald erreichen zu können und wandte sich daher an den badischen Großherzog und an Johann Glatz. Glatz erkannte seine Chance und nahm die Anregungen Keller-Leuzingers auf. Dieser schickte Entwürfe für keramische Gefäße nach Villingen. In der Herstellungstechnik orientierte man sich an der Heimberger Ware. Man nannte sie fälschlicherweise Majolika, bei der jedoch das Werkstück mit weißer Zinnglasur und nicht wie in Heimberg und Villingen mit dunkelbraun und weiß eingefärbtem Tonschlicker (Engobe) seine deckende Oberfläche erhält. Die Anlehnung an die Heimberger Majolika ging so weit, dass Glatz – zumindest in den Anfangsjahren – auch seinen Ton aus dieser Schweizer Gemeinde bezog. Technisch und handwerklich waren die Entwürfe Keller-Leuzingers für Glatz eine Herausforderung. Vielleicht war das der Grund, weshalb er sich vor dem Oberen Tor ganz in der Nähe der heutigen Mönchweilerstraße ein neues Werkstattgebäude errichten ließ. Zwei direkt benachbarte Nebenarme der Brigach lieferten ihm hier das für die Herstellung von Keramik nötige Wasser, Holz des Schwarzwaldes das Brennmaterial.

Die häufig aus mehreren Teilen zusammengesetzten Werkstücke wurden aufwendig geritzt und mit mehrfarbigen Glasuren bemalt. Als Tafelaufsätze, reich dekorierte Vasen oder Wandteller dienten sie eher dem Schmuck der Wohnung als dem Gebrauch. Sie kamen dem Wunsch des wohlhabenden Bürgertums der Gründerzeit nach Repräsentation entgegen. Historische Stile wie Barock und Renaissance, aber auch orientalische Einflüsse sollten die Besitzer als weltgewandt und gebildet erscheinen lassen. Die Keramik des Vorderen Orients spielte hier mit ihren pflanzlichen, flächig dargestellten und stark farbigen Dekoren eine besonders große Rolle. So kam es, dass der Orient in die Keramik des Schwarzwaldes Einzug hielt.

Vase, Entwurf: Franz Keller-Leuzinger, um 1878, Ausführung: Johann Glatz, Verkauf über Tritschler & Cie., Stuttgart. Privatbesitz. Foto: Arthur Mehlstäubler

Neben keramischen Luxusgefäßen stellte Glatz aber auch Kachelöfen, Baudekorationen, Gartenfiguren und glasierte Dachziegel her. Das Wagnis ging auf. Bereits 1877 konnte man dem badischen Großherzog als Beispiele des handwerklichen und künstlerischen Könnens besonders aufwendig dekorierte Prunkstücke zukommen lassen. Es handelte sich unter anderem um die von Keller-Leuzinger so genannte „Kaiserschale“, die das Franziskanermuseum 1995 zusammen mit vier weiteren Keramiken aus der Werkstatt von Johann Glatz aus dem Besitz des badischen Hauses erwerben konnte.

Die Villinger Majoliken „fanden überall, selbst im entferntesten Auslande, Anklang und starken Absatz.“ [2] Der Export erfolgte nach Österreich, Frankreich, England, Nordamerika, Spanien, Rumänien und die Türkei. Die Teilnahme an wichtigen Ausstellungen förderte den Absatz, so etwa die Beteiligung an der Exportausstellung in Amsterdam 1883 und der Weltausstellung in Chicago 1893, wo man als Preis eine Medaille errang. Im selben Jahr eröffnete Glatz in der Villinger Bickenstraße ein eigenes Geschäft. Zu den Händlern, die Majoliken von Glatz verkauften, gehörte auch Tritschler & Cie. in Stuttgart.

Kachelofen im Alten Rathaus, Villingen-Schwenningen, 1894-1896, Entwurf: Kunstgewerbeschule Karlsruhe, Ausführung: Johann Glatz. Foto: Arthur Mehlstäubler

Auch in Karlsruhe wurde man auf die kunsthandwerklichen Potentiale der Villinger Majolikawerkstatt aufmerksam. Im Sinne der Gewerbeförderung lieferte die dortige Kunstgewerbeschule Entwürfe für Vasen und Kannen. Das bedeutendste Resultat der Zusammenarbeit von beiden aber war ein Kachelofen. Überaus reich dekoriert und mit bildlichen Szenen versehen kam er 1896 im Alten Rathaus zur Aufstellung, wo er sich noch heute befindet. Eine Zweitausformung befand sich bis etwa 1960 in einem Villinger Privathaus in der Niederen Straße. Weitere Entwerfer bleiben für die Gründerzeit im Dunkeln, doch muss man davon ausgehen, dass auch Johann Glatz hier tätig wurde.

Der Verkauf seiner Produkte jedenfalls machte ihn zu einem wohlhabenden Mann. So ließ er sich 1905/06 direkt vor sein Werkstattgebäude in der Mönchweilerstraße ein villenartiges Gebäude errichten. Neben der Wohnung des Bauherrn im Obergeschoß nahm es im Erdgeschoß das Ladenlokal mit zwei großen Schaufenstern auf. Das Haus steht heute noch. Von der Straße aus gesehen rechts daneben und ein wenig nach hinten versetzt befindet sich ebenfalls heute noch sein früheres, einfacheres Wohnhaus. Der Neubau erfolgte in der Zeit des Jugendstils, als Glatz seinen wirtschaftlichen Zenit bereits überschritten hatte. Denn die historisierenden Luxuskeramiken der 1870er und 1880er-Jahre waren nicht mehr zeitgemäß.

Wohn- und Geschäftshaus von Johann Glatz, um 1910. Ansichtskarte, Fotograf unbekannt, Privatbesitz

Dennoch passte sich Glatz den aktuellen Gegebenheiten an. Er führte u. a. die Entwürfe von Elisabeth Schmidt-Pecht aus (Abb. 7), deren bekannte und hoch gelobte, mit pflanzlichen und abstrakten Mustern dekorierte Jugendstilkeramiken 1900 auf der Pariser Weltausstellung für Furore sorgten. Erst als sich Schmidt-Pecht zusammen mit ihrem Ehemann 1906 in Konstanz eine eigene Keramikwerkstatt einrichtete, endete die Ausführung ihrer Entwürfe in Villingen. Bis zu seinem Tod 1915 verlegte sich Glatz dann auf die Herstellung eher volkstümlicher Keramiken mit einfachem Dekor und hohem Gebrauchswert.

[1] Kornhas, Carl: Johann Glatz . In: Keramische Rundschau, 23. Jg., 1915, Nr. 10, S. 54.
[2] Ebd.