Die Ausstellung „Sehr schön gmolt. Die Welt des Albert Säger“ ging am 13.10.2024 mit einer sehr gut frequentierten Finissage zu Ende. Drei „Speaker“ informierten an verschiedenen Orten und gleichzeitig in der Ausstellung. Insgesamt haben 2.700 Besucher/-innen die Ausstellung gesehen, was für ein rein stadtgeschichtliches Thema eine gute Resonanz war. Qualitativ war die Ausstellung jedoch ein noch größerer Erfolg. Die Besucherbucheinträge und Rückmeldungen waren überaus positiv und begeistert. Denn die Ausstellung war keine reine Gemälde-Ausstellung, sondern wählte einen kulturgeschichtlichen Ansatz, der mit mehreren Inszenierungen – Werkstatt/Atelier, Villinger Stube, Wandmalerei, Bürgerliches Brauhaus – die Besucher/-innen mit in die Zeit um 1900 hinein- und in den Bann zog. Es war wohl auch die umfangreichste und objektreichste Sonderausstellung, die das Franziskanermuseum in den letzten zehn Jahren zeigte. Die Verknüpfung von Stadt- und Kunstgeschichte gab den Besucher/-innen eine Fülle an Anknüpfungspunkten in ihrem Alltag. Jeder kennt die Hausfassaden von Café Dammert (ehemaliges Wohnhaus und Werkstatt von Albert Säger) und Café Raben sowie das Fresko am Riettor. Viele Bürger/-innen besitzen selbst Gemälde von Säger. Und so war der Erwerb von Säger-Gemälden für die Sammlung – schon im Vorfeld der Ausstellung, aber auch währenddessen – mit ein Zugewinn der Ausstellung für das Museum.

Inszenierung Bürgerliches Brauhaus, Foto: Manfred Oberg

Darüberhinaus wurde jedoch vor allem Neues zu Albert Säger recherchiert und publiziert. Das Begleitbuch zur Ausstellung war bereits vor Ende der Ausstellung vergriffen und wurde in einer 2. Auflage nachgedruckt. Ein Wikipedia-Eintrag über Albert Säger wurde veröffentlicht, so dass der Kunsthandwerker Säger nun im Internet recherchierbar ist. Wenn man bedenkt, wie wenig am Beginn der Ausstellungskonzeption, für die ein Jahr gemeinsames Arbeiten ausreichen musste, an Fakten vorhanden war und was am Ende, ist das beachtlich. Die Nachkommen der Schwester von Albert Säger haben diesen Zuwachs an Wissen befördert, weil sie den Nachlass Sägers zugänglich machten. Ihnen sei hier an dieser Stelle nochmals herzlich gedankt, aber auch dem Ausstellungsteam und den Gestaltern, Bernhard Abele, Frank Müller und Eva Hocke (Buch).

Zunächst war es spannend, das Berufsbild Albert Sägers zu erkunden und zu verstehen. Die Ausbildungswege im 19. und Anfang 20. Jahrhundert waren anders als heute. Albert Säger wurde als Sohn eines Malers geboren. Sein Vater Rudolf hatte die Werkstatt Mitte des 19. Jahrhunderts in das Gebäude Rietstraße 30 verlegt, das zum Wohn- und Geschäftshaus wurde. Im Nachlass von Albert Säger fand sich ein Foto, das die Mitarbeiter einer Maler-Werkstatt zeigte. Auf ihm sieht man auch Kinder in Malerkitteln. Sie sind vielleicht im Grundschulalter und arbeiteten bereits im Betrieb mit. Albert war als einziger Sohn von Rudolf nicht nur prädestiniert, den Betrieb zu übernehmen. Wahrscheinlich arbeitete er ebenfalls schon als kleiner Junge auf den Baustellen seines Vaters. Mit 14 absolvierte er dann die Lehre bei ihm. Säger nannte sich später Kunst- und Dekorationsmaler. Aber was ist das für ein Beruf und wie wurde man das?

Kirchenmaler Häßler mit Werkstatt in Radolfzell, um 1884, auf der Leiter links vermutlich Albert Säger, Privatbesitz, Foto: Museum

Im Kunsthandwerk brachte die Technisierung im 19. Jahrhundert einen ästhetischen Verfall, auf den eine künstlerische Reformbewegung reagierte, die in England „Arts and Crafts“ hieß, in Deutschland Kunstgewerbeschulen und Kunstgewerbemuseen entstehen ließ. Eine solche Kunstgewerbeschule mit Museum gründete der badische Großherzog in seiner Landeshauptstadt Karlsruhe. Deren Direktor, Hermann Götz, warb Schüler auch in den entfernteren Ecken Badens, z.B. im Schwarzwald, zumal er selbst aus Donaueschingen und sein Kollege, Karl Eyth, aus Schiltach stammte. Albert Säger besuchte diese Schule im Wintersemester 1883/84. Er hat sich dabei sicherlich fachlich fortgebildet, z.B. im Freihandzeichnen. Der Besuch der Schule legte die Grundlage dafür, dass er später nicht nur Wände anstrich, sondern auch aufwändige Wandmalereien umsetzte und Gemälde, vom Porträt bis zur Landschaft. Genau diese Doppelkompetenz zeichnete den Beruf des Kunst- und Dekorationsmalers aus. Vor allem aber knüpfte Säger in Karlsruhe neue Kontakte. So erklärt sich vielleicht, warum Lehrer der Kunstgewerbeschule Karlsruhe wie Hermann Götz und Karl Eyth zehn Jahre später Aufträge in Villingen erhielten. Hermann Götz entwarf 1894 den Prachtofen für das Alte Rathaus und arbeitete am Festumzug 1899 mit. Karl Eyth entwarf die Fassade für das Alte Rathaus ebenfalls 1894.

Karl Eyth, Entwurf Fassade Altes Rathaus, 1894, Franziskanermuseum, Foto: visual artwork

Das Zeitalter der Industrialisierung brachte so viel technischen Fortschritt, dass die Sehnsucht nach dem Alten und Bewährten durchaus verständlich ist, die sich in vielen Gemälden Albert Sägers ausdrückt. Sie sind häufig menschenleer, zeigen weder Telefonmasten noch Autos, und beschwören manchmal architektonische Situationen, die zum Zeitpunkt der Entstehung der Gemälde nicht mehr existierten. Sie sind nostalgisch, voller Sehnsucht nach einer vergangenen Epoche. Dies entsprach dem Zeitgeschmack. Säger war Geschäftsmann und passte sich diesem Geschmack an: Er wollte und musste verkaufen, denn er hatte eine große Familie zu ernähren. Er wollte sicherlich nicht die „Zeit zurückdrehen“. Säger interessierte sich durchaus für alles Neue, was aus den Zeichnungen in seinen Reisetagebüchern deutlich wurde. Hier sind Fallschirmspringer, Autobusse, Zeppeline und Flugzeuge abgebildet. Auch Sägers Malstil blieb konservativ und realistisch, während in den Kunstmetropolen Impressionismus und Expressionismus vorherrschten und den Weg in die Abstraktion vorbereiteten. Die Schüler von Säger, Waldemar Flaig und Paul Hirt, wandten sich den neuen Kunstströmungen zu. Säger förderte und unterstützte seine Schüler, aber seine eigene Malweise änderte er nur geringfügig im Lauf seines Lebens, – aus demselben Grund: seine Gemälde verkauften sich, seine Kunden wollten sie so.

Albert Säger, Bickenbrücke (abgerissen 1877), 1923, Franziskanermuseum, Foto: visual artwork

Die Beziehung zum Stiefsohn Waldemar Flaig ist ein weiterer Punkt, der sich im Zuge der Ausstellungsvorbereitung klärte. Albert Säger war bereits 39 Jahre alt, als sein Vater 1905 starb, und er offiziell die Leitung des Betriebs übernahm. Nur ein Jahr später, 1906, heiratete Säger eine acht Jahre ältere Witwe mit drei Kindern, Wilhelmine Flaig. Die Ehe der beiden scheint durchaus harmonisch gewesen zu sein, dennoch ist dieser Schritt vielleicht nicht nur mit gegenseitiger Zuneigung zu erklären. Das mittlere Kind, Waldemar Flaig, war künstlerisch begabt. Säger sah in ihm einen möglichen Betriebsnachfolger, da er selbst keine Nachkommen hatte. Waldemar Flaig ging also bei Säger in die Lehre, aber aus verschiedenen Gründen schließlich einen anderen Weg als den vorbestimmten. Waldemar Flaig wure im 1. Weltkrieg als Soldat verschüttet. Als er schwer traumatisiert 1919 aus dem Lazarett in Petershausen zurückkam, musste sich sein Entschluss gefestigt haben, nicht den Malerbetrieb seines Stiefvaters zu übernehmen, zumal die Arbeit in feuchten und kalten Gemäuern seiner Gesundheit nicht zuträglich war (Er starb mit 40 Jahren an den Folgen einer Mandeloperation, der er sich unterzogen hatte, weil er unter einer rezidivierenden Angina litt). Diese Absage war wohl der Grund, dass Säger 1919 den Betrieb verkaufte, um sich die letzten fünf Jahre seines Lebens nur seiner Malerei zu widmen. Flaig, dem der Stiefvater das Kunststudium in München finanziert hatte, zog 1920 nach Meersburg, wo er sein Malatelier im Alten Schloss einrichtete.

Albert Säger und sein Schüler und Stiefsohn Waldemar Flaig, 1908, Privatbesitz

Säger hat in der „großen“ Kunstgeschichte kaum Spuren hinterlassen, in der Stadtgeschichte Villingens aber durchaus. Denn er hat die Stadtidentität Villingens mitgeprägt und einiges geschaffen, was bis heute Bestand hat. Warum ist er dennoch aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden? Ein Grund war sicherlich der Misserfolg, der mit der Fassade des Alten Rathauses zusammenhing. Die Fassade sollte nach dem Willen des Stadtrats nicht nur schön und bedeutend sein, sondern „ewig“ halten. Säger holte den renommierten Karlsruher Künstler Karl Eyth „ins Boot“, der das inhaltliche Programm entwarf. Dabei stellte sich heraus, dass die Freskotechnik nicht angewendet werden konnte, und man ein neues, noch nicht bewährtes Malmittel ausprobieren musste. Dieses hielt nicht, was es versprach, so dass bereits 1928 die Fassade überstrichen wurde, denn die prachtvolle Fassade von Eyth und Säger war bereits verblasst und unansehnlich geworden. Der andere Grund war das konfliktbeladene Ende des letzten städtischen Auftrags. 1922 sollte Säger das Fresko am Riettor restaurieren. Sägers Kostenvoranschlag betrug 5.000 Mark, abgerechnet hat er aber 15.000, so dass die Stadt gegen ihn prozessierte. Säger gewann zwar den Prozess mit der Begründung, vom Original sei kaum mehr etwas erhalten gewesen, er habe das Bild neu malen müssen und das sei eine künstlerische Leistung. Aber der Stadtrat war sicherlich nicht erbaut darüber, den hohen Preis – mit Zinsen – bezahlen, und die Prozesskosten übernehmen zu müssen. Bei der Beerdigung Sägers zwei Jahre später sei kein Vertreter der Stadt anwesend gewesen, berichtete der Chronist Josef Honold, – ein stolzer Preis, den Säger für seine gerichtliche Anerkennung als Künstler bezahlte: Es hat ihn offenbar seinen Nachruhm gekostet.

Albert Säger, Kreuzigung, Fresko am Riettor, Foto: Jens Hagen