1950 ließ Rudolf Ströbel bei der Neueinrichtung des Museums zwei Kojen einrichten. Die linke bietet einen Einblick in eine römische „Stube“, die rechte in eine alamannische. Beide bestehen ausschließlich aus Nachbildungen. In der Römerstube sei, laut originaler Beschriftung oberhalb des Arrangements, die „Wandmalerei in Anlehnung an die Merkurädikula von Cannstatt und das Gutshaus Ummendorf“ nachempfunden worden.[1] In der „Bauernstube aus der Völkerwanderungszeit“ haben die „Tongefäße, Lederschuhe und Holzgeräte (Gefäße, Leuchter usw., aber auch Sessel und Bett – M.H.) … ihre Vorbilder in Oberflacht… Die Waffen und übrigen Metall-Gerätschaften sind nach den Funden von Lauffen bei Rottweil und Schwenningen angefertigt.“[2] Das berühmte, bereits Mitte des 19. Jahrhunderts entdeckte alamannische Gräberfeld des 6. und 7. Jahrhunderts in Oberflacht ist von Schwenningen ca. 30 km entfernt. Kopien der dortigen Funde zu verwenden, scheint naheliegend, wenn man davon absieht, dass Dinge, die Verstorbenen ins Grab gegeben wurden, eigentlich nicht unkritisch in einen alltagskulturellen Gebrauchskontext übertragen werden können.
Die Inszenierung wirkt gleichwohl auf den ersten Blick harmlos, ist es aber nicht. In diesem Blogbeitrag möchte ich zunächst aufzeigen, wie Ströbel zwischen den Alamannen und dem dörflichen Schwenningen des frühen 18. Jahrhunderts eine mehr als tausendjährige Kontinuität konstruierte. In weiteren Beiträgen wird es um die Haltbarkeit der strikten Trennung zwischen römischer und alamannischer Kultur gehen sowie darum, wie die Kulturen in der Inszenierung gewertet wurden.
Vorbild 1: Oerlinghausen 1936
1936 hatte Rudolf Ströbel, damals noch Mitarbeiter des Reichsamts für Vorgeschichte der NSDAP, in Oerlinghausen bei Detmold an der Inszenierung eines „germanischen Hofs um die Zeitenwende“ mitgearbeitet und darüber in der Zeitschrift „Germanenerbe“ publiziert.[3] Oerlinghausen kann deutlich als Vorbild für Schwenningen identifiziert werden. Auch hier ließ Ströbel Funde aus Oberflacht nachbilden. Leuchter, gedrechselte Schalen, Schild, Stühle und Bett stehen hier jedoch für Wohnkultur des 1. Jahrhunderts v. Chr., werden also rund 500 Jahre älter gemacht, als sie sind. Die Grundform der Truhe rechts hingegen ist erst aus dem spätmittelalterlichen 14. Jahrhundert überliefert. Sie ist mit einer Hakenkreuzgravur versehen, die nach Ströbel von „westgermanischen Tongefäßen der Zeitenwende abgesehen“ sei. Frank und frei behauptet er eine direkte kulturelle Kontinuität zwischen „Germanen“ und Gegenwart: „Die wohnliche Einrichtung ist teils auf Grund heutiger Bauernmöbel gefertigt… Diese Wohnkultur [ist – M. H.] herausgewachsen aus derselben seelischen Grundhaltung und heimatverwurzelten Kraft, die die Cherusker den gigantischen Kampf gegen die Römer durchkämpfen ließ [Oerlinghausen befindet sich im Teutoburger Wald nur ca. 30 km vom Hermannsdenkmal entfernt – M.H.]. Das Freilichtmuseum Oerlinghausen zeigt uns, wie die heutige kraftvolle Niedersachsenkultur dieses Gaues unmittelbar aus germanischer Wurzel emporgewachsen ist.“[4] Unüberhörbar ist, dass die Gleichsetzung von Germanen und heutigen Niedersachsen der moralischen Aufrüstung dienen soll.
Vorbild 2 und 3: „Wettebuurschopf“ und Modell des Hofs von Vehlow
Die Schwenninger Stube ist scheinbar Beleg für eine veränderte, methodisch sauberere Herangehensweise: Die Bezeichnung als „Alamannenstube“ passt zu den Oberflachter Funden zeitlich und geographisch; es gibt keine Truhe mehr und keine „westgermanischen“ Hakenkreuze. Das dominierende Element der Alamannenstube sind jedoch die Wände, eine Bohlen- / Bretterwandkonstruktion („Bohlenständerbauweise“). Was hier so selbstverständlich dasteht, ist wiederum reine Projektion. Aussagen über konkrete Hausformen der Merowingerzeit sind nicht möglich. 1950 wie heute hatte man nur minimale Kenntnisse über alamannische Architektur: Alamannische Gehöfte waren in der Regel Pfostenhäuser in Holzbauweise. Konkretes Vorbild für die Inszenierung war vielmehr der „Wettebuurschopf“, ein erst um 1700 errichtetes Nebengebäude eines Schwenninger Bauernhofs als eines der ältesten in Schwenningen erhaltenen Baudenkmale.[5]
Auch für diese Rückdatierung um rund 1000 Jahre konnte Ströbel bereits auf ein Vorbild von 1937 zurückgreifen. Im Führer zur Ausstellung „Lebendige Vorzeit“ beschrieb der spätere Schwenninger Museumsleiter das Modell „eines swebischen Hofes bei Vehlow (Ostprignitz) aus der Zeit der Römerkämpfe“ mit Bohlenständerbauweise. „Diese Hausform zeigt … Verwandtschaft mit einer heutigen deutschen Bauernhausform, nämlich der schwäbisch-alamannischen. Sind doch auch die Sweben und später die Alamannen aus der Mark Brandenburg und den südlich benachbarten Gebieten in ihr heutiges Siedlungsgebiet gezogen.“[6] Trotz der Korrektur offensichtlicher Nazi-Propaganda bleibt die grundsätzliche Herangehensweise auch in Schwenningen gleich: Ohne jeden wissenschaftlich haltbaren Anhaltspunkt projiziert Ströbel „schwäbisch-alemannische Bauernhausform(en)“ ins 6. Jahrhundert zurück und behauptet damit implizit die Kontinuität der bäuerlichen Kultur in Schwenningen seit dieser Zeit.
Schon vor der Neueröffnung des Schwenninnger Museums 1950 hatte der württembergische Museumspfleger Albert Walzer[7] vor dieser unwissenschaftlichen Methode gewarnt: „Ich würde … keine römischen und alamannischen Zimmer aus lauter Nachbildungen aufbauen, auch wenn solche Dinge in Norddeutschland und in Uhldingen tatsächlich schon gemacht wurden… Bei solchen Rekonstruktionen muss doch immer mit viel Phantasie gearbeitet werden.“[8] Mit seinen Anspielungen auf „Norddeutschland“ (Oerlinghausen) und „Uhldingen“ (Hans Reinerths Pfahllbaumuseum) macht Walzer für Eingeweihte zudem klar, dass er ganz genau wusste, wes Geistes Kind in Schwenningen weitergepflegt wurde: das des Reichsamts für Vorgeschichte der NSDAP.
[1] Vgl. die Rekonstruktion des Frieses aus dem kleinen Merkurheiligtum in Cannstatt heranzieht, die Oskar Paret 1932 publizierte und die Ströbel vermutlich vorlag: Paret, Oskar: Die Römer in Württemberg. Dritter Teil: Die Siedlungen, Stuttgart 1932, Taf. VI,1, Text S. 55 – 57.
[2] Die handgeschriebenen Beschriftungen sind auf historischen Fotos der Inszenierung im Stadtarchiv noch ablesbar. Eine Paraphrase der Beschriftung bei Rupp, Fritz: Zur Vor- und Frühgeschichte. Schwenninger Ausgrabungen und Funde, in: Schwenninger Heimatblätter 1(1950), Nr. 9 (24.11.1950).
[3] Ströbel, Rudolf: Ein germanischer Hof um die Zeitenwende. Wiedererstellt in Oerlinghausen im Teutoburger Wald, in: Germanen-Erbe 1 (1936), Heft 2, S. 52. Vgl. zu Oerlinghausen: Schmidt, Martin: Die Rolle der musealen Vermittlung in der nationalsozialistischen Bildungspolitik. Die Freilichtmuseen deutscher Vorzeit am Beispiel von Oerlinghausen, in: Prähistorie und Nationalsozialismus. Die mittel- und osteuropäische Ur- und Frühgeschichtsforschung in den Jahren 1933 – 1945, hrsg. v. Leube, Achim (Studien zur Wissenschafts- und Universitätsgeschichte 2), Heidelberg 2002, S. 147 – 159. Die Wanderausstellung „Lebendige Vorzeit“, ab 1936 an vielen Orten gezeigt, zeigte Fotos aus der Oerlinghausener Inszenierung. Zur Ausstellung s.u.
[4] Ströbel 1936, S. 52.
[5] Der Schopf wurde von Ströbel mehrfach bearbeitet. Er ließ eine gründliche Bauaufnahme erstellen, aus der ein Modell für das Heimatmuseum entstand. Seine Einlagerung und sein Wiederaufbau auf dem Gelände des Bauernmuseums in Mühlhausen sind ebenfalls seiner Initiative geschuldet.
[6] Ströbel, Rudolf: Führer durch die Ausstellung Lebendige Vorzeit im Lichthof der Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg, Leipzig 1937, 24f. Das Modell entstand in der Modellwerkstatt des Reichsamts in Unteruhldingen; vgl. Schöbel, Gunter: Die Pfahlbauten von Unteruhldingen. Teil 3: Die Zeit von 1936 bis 1940, in: Plattform. Zeitschrift des Vereins für Pfahlbau und Heimatkunde e.V. 3 (1994), S. 19, Abb. 14. Zur Wanderausstellung „Lebendige Vorzeit“ vgl. Schöbel, Gunter: Hans Reinerth. Forscher – NS-Funktionär – Museumsleiter, in: Prähistorie und Nationalsozialismus. Die mittel- und osteuropäische Ur- und Frühgeschichtsforschung in den Jahren 1933 – 1945, hrsg. v. Leube, Achim (Studien zur Wissenschafts- und Universitätsgeschichte 2), Heidelberg 2002, S. 353f., Halle, Uta: Von der musealen Leichenkammer zur NS-Großveranstaltung, in: Kat. Graben für Germanien. Archäologie unterm Hakenkreuz (Focke-Museum, Bremer Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte 2013), Stuttgart 2013, S. 89f.
[7] Vgl. zu Walzer: Schöck, Gustav: Allen Widrigkeiten zum Trotz. Albert Walzer und die Heimatmuseen in Nordwürttemberg nach dem Krieg, in: Landesstelle für Museumsberatung Baden-Württemberg (Hg.): Neuordnungen. Südwestdeutsche Museen in der Nachkriegszeit, Stuttgart 2002, S. 153 – 168.
[8] Walzer, Albert: Gutachten über den Aufbau des Heimatmuseums Schwenningen, S. (3), Archiv Heimatmuseum Schwenningen. In seinem Überblick: Der Stand unserer Heimatmuseen, in: Schwäbische Heimat 1 (1950), S. 35f., erwähnt Walzer das Heimatmuseum Schwenningen nur mit einem lapidaren Satz: „Das Heimatmuseum Schwenningen wird zur Zeit neu aufgebaut.“ (36)