Dr. Rudolf Ströbel (1910 – 1972)

Dr. Rudolf Ströbel (1910-1972) leitete von 1949 an als „Verwalter“ das bis dahin ehrenamtlich vom Verein für Heimatgeschichte betriebene Heimatmuseum, wobei er auch Aufsicht zu führen, zu heizen und zu putzen hatte, während er Bodendenkmalpflege nur in seiner Freizeit betreiben durfte. 1964 wurde er zum Museumsleiter ernannt, was er bis zu seinem Tod 1972 blieb.

Forschungs-geschichte

Die Biographie vor dem Beginn seiner Arbeit im Heimatmuseum, insbesondere seine Karriere im Nationalsozialismus, war bis 2009 in Schwenningen nur sehr unzureichend bekannt bzw. sie wurde nicht thematisiert.[1] Das ist sicher den auch anderswo zu beobachtenden Mechanismen geschuldet, wenn es um das Verschweigen nationalsozialistischer Karrieren und Verstrickungen ging. Das liegt aber auch an der sehr spät einsetzenden Aufarbeitung der Rolle des Fachs Vorgeschichte im NS-Staat. Erst 1970 erschien eine erste gründliche Arbeit über „das Amt Rosenberg und seine Gegner“ des Historikers Reinhard Bollmus, in der Rudolf Ströbel jedoch noch nicht erwähnt wurde.[2] Schon nach Ströbels Tod folgte 1974 die Untersuchung von Michael Kater über das „Ahnenerbe“ der SS, in der Ströbels Name auch noch nicht genannt wird.[3] In den 1990er Jahren arbeitete Günter Schöbel die schwierige Geschichte des Pfahlbaumuseums Unteruhldingen auf, die maßgeblich vom wissenschaftlichen und politischen Ziehvater Ströbels, Hans Reinerth, geprägt ist.[4] Erst nach der Jahrtausendwende widmete sich das Fach Archäologie umfassender seiner von teils extremem Nationalismus und völkisch-rassistischer Ideologie bestimmten Geschichte. Hier kommt Rudolf Ströbel überall vor.[5]

Biographie

Russlandreise des Reichsamts für Vorgeschichte 1942, direkt links neben dem Auto: Dr. Rudolf Ströbel (Aus: Schöbel 2009)

Ströbel studierte Vor- und Frühgeschichte von 1929 bis 1934 in Tübingen[6], 1934 promovierte er beim damaligen Privatdozent Hans Reinerth. Bereits seit 1930 gehörte er der NSDAP und seit 1931 der SA an. Reinerth, der sich 1931 der NSDAP angeschlossen hatte, erhielt auf Vorschlag von Alfred Rosenberg 1934 eine Professur am Institut für Vor- und Germanische Frühgeschichte der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin. Ströbel folgte ihm schon im selben Jahr zunächst als Stipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Seit 1936 war er im „Reichsbund bzw. ab 1937 Reichsamt für Vorgeschichte der NSDAP“ beschäftigt, dessen Bundesführer und Reichsamtsleiter Hans Reinerth war. Von Juni 1939 bis April 1942 hatte Ströbel eine Assistentenstelle in Reinerths Institut an der Friedrich-Wilhelm-Universität inne, „dann entschied Reinerth: ‚Ich beabsichtige, Dr. Ströbel (wieder – M.H.) in das Reichsamt der NSDAP zu übernehmen. Er ist für den Einsatz in den besetzten Ostgebieten vorgesehen.'“[7] Im Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg war er am Kulturgüterraub in der Sowjetunion beteiligt. Seine Teilnahme an einer „Museumsreise“ und Kontrollfahrt Hans Reinerths durch die Ukraine vom September bis zum November 1942 ist belegt.[8] Nach 1945 hielt sich Rudolf Ströbel zunächst wieder in Tübingen auf, wo er mit Gelegenheitsarbeiten beschäftigt war. 1949 ging er nach Schwenningen, wo er bis zu seinem Tod 1972 beschäftigt war.

Ströbel in Schwenningen

Im Laufe seiner über zwanzigjährigen Tätigkeit in Schwenningen konnte Ströbel zweimal – 1950 und 1964 bis 1966 – Neukonzeptionen der Dauerausstellung realisieren. Große Teile dieser Konzeptionen sind bis heute erhalten.[9] Das ermöglicht einerseits, ein in Deutschland wohl einmaliges Ensemble an postnazistischen Inszenierungen zu untersuchen, was in diesem Blog sukzessive geschehen soll. Das bedeutet andererseits, dass die Dauerausstellung des Heimatmuseums nach wie vor ein imaginiertes, ethnisch begründetes Geschichtsbild zeigt, das Kontinuitäten über Jahrtausende und unwandelbare kulturelle Gegensätze behauptet. Für dessen Darstellung wurden nur dann Exponate aus Schwenningen verwendet, wenn sie ins Bild passten. Überhaupt kommt Schwenningen und kommen Schwenninger im Museum so gut wie nicht vor. Das ist zweifellos ein Missstand, den es dringend zu beheben gilt. Eben darum brauchen wir ein neues Museum.

[1] Exemplarisch die Nachrufe in: Das Heimatblättle, Jg. 20, Heft 11, November 1972, S. 2 (GFW); Benzing, Otto: Dr. Rudolf Ströbel, in: Schriften des Vereins für Geschichte und Naturgeschichte der Baar in Donaueschingen 30 (1974), S. 15 – 19.

[2] Bollmus, Reinhard: Das Amt Rosenberg und seine Gegner. Zum Machtkampf im nationalsozialistischen Herrschaftssystem, Stuttgart 1970

[3] Kater, Michael H.: Das „Ahnenerbe“ der SS 1935 – 1945. Ein Beitrag zur Kulturpolitik des Dritten Reiches, Stuttgart 1974

[4] Schöbel, Gunter: Die Pfahlbauten von Unteruhldingen. Teil 1: Die Zwanziger Jahre, in: Plattform. Zeitschrift des Vereins für Pfahlbau und Heimatkunde e.V. 1 (1992), S. 9 – 21; Teil 2: Die Zeit von 1930 bis 1935, in: Plattform 2 (1993), S. 15 – 37; Teil 3: Die Zeit von 1936 bis 1940, in: Plattform 3 (1994), S. 9 – 35; Teil 4: Die Zeit von 1941 bis 1945, in: Plattform 4 ( 1995), S. 23 – 40.

[5] In Auswahl: Schöbel, Günter: Hans Reinerth. Forscher – NS-Funktionär – Museumsleiter, in: Prähistorie und Nationalsozialismus. Die mittel- und osteuropäische Ur- und Frühgeschichtsforschung in den Jahren 1933 – 1945, hrsg. v. Leube, Achim (Studien zur Wissenschafts- und Universitätsgeschichte 2), Heidelberg 2002, S. 321 – 370; Halle, Uta: „Die Externsteine sind bis auf weiteres germanisch!“ Prähistorische Archäologie im Dritten Reich, Bielefeld 2002; Leube, Achim: Die Prähistorie an den deutschen Universitäten 1933–1945. Das Beispiel der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, in: Callmer, Johan; Meyer, Michael; Struwe, Ruth; Theune, Claudia (Hg.): Die Anfänge der ur- und frühgeschichtlichen Archäologie als akademisches Fach (1890–1930) im europäischen Vergleich. Internationale Tagung an der Humboldt-Universität zu Berlin vom 13.–16. März 2003 (Berliner Archäologische Forschungen 2), Rahden/Westf. 2006, S. 127–148; Leube, Achim: Prähistorie zwischen Kaiserreich und wiedervereinigtem Deutschland. 100 Jahre Ur- und Frühgeschichte an der Berliner Universität Unter den Linden (Studien zur Archäologie Europas 10), Bonn 2010, S. 67 – 122; Strobel, Michael: Das Urgeschichtliche Institut der Universität Tübingen zwischen 1933 und 1945. In: U. Wiesing, K.-R. Brintzinger, B. Grün, H. Junginger u. S. Michl (Hrsg.): Die Universität Tübingen im Nationalsozialismus. Contubernium 73 (Stuttgart 2010), S. 321-349; Halle, Uta und Dirk Mahsarski: Forschungsstrukturen, in: Kat. Graben für Germanien. Archäologie unterm Hakenkreuz, Focke-Museum, Bremer Landesmuseum für Kunst- und Kulturgeschichte 2013, S. 57 – 64.

[6] Schöbel 2002, S. 360, Anm. 167.

[7] Leube 2010, S. 92. Zu Ströbels Einsatz in Russland vgl. Schöbel 2002, S. 357; Leube 2006, S. 141, Anm. 42; Schöbel, Gunter: Die Ostinitiativen Hans Reinerths, in: Schachtmann, Judith u.a. (Hg.): Politik und Wissenschaft in der prähistorischen Archäologie. Perspektiven aus Sachsen, Böhmen und Schlesien (Berichte und Studien, hrsg. vom Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e.V. 56), Göttingen 2009, S. 276.

[8] Schöbel 2002, S. 357.

[9] Die Amtszeit von Rudolf Ströbel in Schwenningen ist insgesamt hervorragend dokumentiert. Im Stadtarchiv birgt eine Fülle von Ordnern gut sortiert und offenbar fast lückenlos Zeitungsartikel, Fotos, Pläne, Manuskripte, Briefe zu allen museumsrelevanten Aktivitäten Ströbels – seinen Neukonzeptionen der Dauerausstellung, allen Sonderausstellungen, Führungen von Prominenz, Radioaufnahmen, seinen Kontakten zur Stadtverwaltung und zum Gemeinderat. Im Museum ist in seltener Vollständigkeit originale Didaktik wie Karten, Zeichnungen, Fotos oder Beschriftungen erhalten. Diese vorbildliche Dokumentationspraxis ist ein deutliches Indiz für die professionellen Qualitäten, das hohe Engagement und den Fleiß des Museumsleiters.