In der Führungsreihe ‚Im Blickpunkt‘  stellt in lockerer Folge eine prominente Person ihr Lieblingsobjekt in der Dauerausstellung des Franziskanermuseums vor. Welches das ist, bleibt bis zum Veranstaltungstermin geheim. Am 10. März war der Stadt- und Gästeführer Rudolf Reim zu Gast. Sein Transkript stellt er hier freundlicherweise zur Verfügung.

Das Franziskanermuseum vom Osianderplatz aus

Die Einladung, eine Blickpunktführung im ehrwürdigen Franziskanermuseum durchführen zu dürfen, war für mich eine Überraschung und in meiner Welt eine besondere Wertschätzung. „Das Franziskaner“ ist ein besonderer Ort: Die Herzkammer der historischen Altstadt. Für mich ein Ort voller Emotionen. Erinnere ich mich an Konzerte wie „Christmas With My Friends“ mit dem großartigen Posaunisten Nils Landgren, oder die fabelhaften Chöre aus VS, bekomme ich Glücksgefühle. Genauso beim Gedanken an Veranstaltungen im Foyer, die meine Neugier stillten (z.B. den Vortrag von Harald Ketterer zum im Museum ausgestellten Dieselmotor). Politische Frühschoppen, Podiumsdiskussionen, aber auch meine Ausbildung zum Stadt- und Gästeführer fanden in den Räumen des Museums statt. Ich finde es klasse, wenn sich dort Kinder und Jugendliche mit der Tradition der Fasnet beschäftigen können. Es ist ein lebendiger Ort. Kein Museum, das nur Vergangenes zeigt – das beweist ganz aktuell die Ausstellung „Familiengeheimnisse. Der Narro un si ganz Bagasch“.

Und dann kommt vor meinem Lieblingsobjekt der Mensch. Oder besser: die Menschen, das Team des Franziskanermuseums. Sympathisch und engagiert schaffen sie es immer wieder zu überraschen. Eine „Keltenfürstin“ nach Villingen zu holen war für mich so eine Überraschung.

Mein Lieblingsobjekt ist ein Stellvertreter. Es steht stellvertretend für das, was den Schwarzwald und Villingen-Schwenningen im Besonderen ausmacht.

Hinter diesem Objekt steht eine Familiengeschichte, wie sie typisch für den Schwarzwald und prägend für Villingen ist. Aber es gibt auch flankierende Koordinaten für mich ganz persönlich. Da ist zunächst Triberg, eine Stadt, mit der ich „im Herzen“ verbunden bin. Von dort kommt auch die Familie, die hinter meinem Lieblingsobjekt steht. Eine zweite Koordinate ist ein Franke, der, obwohl nur kurz in der Familie, seine DNA hinterlassen hat. Eine dritte Koordinate ist das Zeugungsjahr des Produktes. Die Entwicklung fällt zusammen mit meiner Entstehung: Ich wurde im Jahre 1962 in Würzburg geboren.

Rudolf Reim bei seiner Führung am 10. März im Franziskanermuseum

Von der Schellenmühle zum Marktführer

Aber gehen wir zusammen auf eine kleine Zeitreise. Es geht um Uhrenteile, Fahrradglocken und Erfindergeist. Mit diesen Rezepten gründen  Schwarzwälder Handwerker 1835 in Triberg eine Firma.  Die Familie hinter dieser Firma heißt Schwer,  der Gründer Joseph Benedikt. 1904 heiratet der Enkel des Gründers, Hermann Schwer, seine Frau namens Johanna. Schon 1905 kommt die einzige Tochter Margarete auf die Welt. Hermann Schwer übernimmt das Unternehmen mit 12 Mitarbeitern.

Am 30. März 1918 kauft Hermann Schwer das Areal der „Waldmühle“, im Villinger Volksmund später die „Schellenmühle“ genannt. Fahrradglocken sind schließlich das erste Massenprodukt der Firma. 1922 hat die Firma ca. 200 Mitarbeiter. Produziert werden Fahrrad- und Haustürklingeln, aber auch Rasierapparate und Briefwaagen. 1923 beginnt die Produktion von Kopfhörern für Radioapparate. Der Rundfunk in Deutschland geht auf Sendung – und die später weltberühmte Marke SABA wird kreiert und eingeführt.

„Als moderner Unternehmer habe ich stets von mir aus versucht, das Beste zu leisten. Wo aber mein Wissen und Können nicht ausreichte, habe ich es verstanden, tüchtige Mitarbeiter und Freunde für mein großes Werk einzusetzen. Man muss die Menschen nehmen, wie sie sind und nicht, wie man sie gerne hätte.“

 

– Hermann Schwer

Die Familie hinter SABA, die Familie, die für die „Schwarzwälder Apparate-Bau- Anstalt Schwer Söhne GmbH“ steht, ist fleißig, ehrgeizig, mutig, sozial und bodenständig. Ihre Mitglieder bringen sich ein in die Firma, in die Gesellschaft. 1935 bekommt Hermann Schwer und 1938 seine Frau Johanna Schwer dafür das Ehrenbürgerrecht der Stadt Villingen verliehen.

Die Mitarbeiter sind stolz, bei der SABA zu arbeiten. Stolz darauf, was hier entwickelt, designt und in den Markt gebracht wird. Aber es werden auch hohe Erwartungen an die Mitarbeiter gestellt. Überstunden und Sonderschichten gehören zur Normalität. Frauen arbeiten im Frühjahr und Sommer in der Landwirtschaft und im Herbst und Winter an den Fließbändern der SABA.

Die Firma honoriert den Einsatz mit sozialem Engagement: Ein Ferienheim in Meersburg, ein Fonds für „hilfsbedürftige und würdige Mitarbeiter“, eine Werksbibliothek, einen Betriebs-Kindergarten, Sportgruppen, Unterhaltungsabende oder Ausflüge. Legendär und unvergessen sind die Weihnachtsfeiern für die Kinder in der Tonhalle.

Die Saba-Abteilung im Franziskanermuseum

Ein Meilenstein der 60er-Jahre

Nun zu meinem Lieblingsobjekt. Es ist ein Meilenstein, nicht nur in der Geschichte der Firma, sondern überhaupt. Wir sprechen von den Jahren 1961 bis 1963. Auf den Straßen fahren der VW Käfer, Opel Kadett und Opel Rekord, in der Luxusklasse der Mercedes 280 SE mit Elfenbeinlenkrad. Dazu Marken wie Horch, NSU, DKW. Die Autos hatten schon als Ausstattung ein Autoradio zur Wahl. Aber das, was für uns heute selbstverständlich ist, nämlich eigene Musik mitzunehmen, gab es nicht. Zuhause stand das Radiogerät oder auch die Tonbandmaschine, um Musik wiederzugeben.

Mein Lieblingsobjekt steht für diesen Erfindergeist, steht für Mut und Risikobereitschaft. Steht dafür, einen Riecher zu haben für Entwicklungen, für Trends. Es ist eine bahnbrechende Kombination aus Autoradio und Kassettengerät. Es ermöglicht eigene Musik mobil zu machen.

Es ist das „SABAMOBIL“.

Tonbandgerät Sabamobil, Franziskanermuseum, Inv.nr. L 452

Das Sabamobil nutzte ein Tonbandkassettensystem aus handelsüblichen Vier-Spur-1/4 Zoll-Tonband auf 3-Zoll-Spulen mit zwei Kanälen Mono je Seite.
Es war damit kompatibel zu den Spulentonbändern. Die Kassette war komplett verschraubt oder durch zwei Halteklammern zu öffnen, um vorhandene 3-Zoll-Spulen einzulegen. Das Gerät kostete 136 USD.

Mein Lieblingsobjekt ist, ich sagte es schon, ein Stellvertreter. Denn durch die Entwicklung des Gerätes und das mangelnde Angebot an Musik zur Vermarktung durch SABA entstand der Bedarf einer eigenen Musikproduktion. Schon 1923 richtete Hermann Schwer ein Tonstudio auf dem Werksgelände ein. Ab 1958 entstand aber unter seinem Enkel Hans Georg Brunner-Schwer ein neues, eines, das später Kultstatus erreichen sollte. Eine Wallfahrtsstätte für weltbekannte, große Künstler, insbesondere aus der Jazzszene.

Das Nonplusultra der Villinger Partys

Ja, Sie haben es sicher gemerkt, plötzlich ist zu dem Familiennamen Schwer ein weiterer Name hinzugekommen. Jetzt wird es spannend, jetzt kommt fränkisches Blut und noch etwas Besonderes dazu. Die Tochter Margarete Schwer heiratete Hugo Friedrich Brunner (genannt Fritz). Er war von Nürnberg nach Villingen gekommen und hatte sich als Musikdirektor beworben. In dieser Funktion hatte er Johanna Schwer und die Tochter Margarete kennengelernt. Dieser Fritz Brunner hatte als Musiker und Künstler eine Gabe, die er an seinen Sohn Hans Georg weitergab: Das absolute Gehör. „HGBS“ spielte Orgel, Klavier, Akkordeon. Die Ehe wurde bereits 1934 wieder geschieden. Und der zweite Ehemann Ernst Scherb trat in die Familie und das Unternehmen ein. Am 1.1.1961 übernahmen die beiden Söhne Hans Georg und Hermann Brunner-Schwer die Geschäftsführung.

Im Hause Hans Georg Brunner-Schwer fanden Hauskonzerte statt. Hans Georg hatte sich auch in seinem Privathaus unter dem Dach ein Tonstudio eingerichtet. Wenn im Salon die Künstler aus der ganzen Welt die Gäste unterhielten, zeichnete HGBS die Konzerte auf. Aber er tat dies in einer Qualität, die absolut einmalig war. 1963 kam der kanadische Starpianist Oscar Peterson zur Hausparty nach Villingen. Es sagte, er hätte sich und seine Musik noch nie vorher so gehört.

Daraus entsteht schließlich MPS: „Musik-Produktion-Schwarzwald“. Ein Tonstudio der Extraklasse, ein Schallplattenlabel, ein Denkmal.

Am 12. Oktober 2004 starb Hans Georg Brunner-Schwer bei einem Autounfall. Seine Frau Marlies empfing mich vor einigen Wochen und ließ mich in das „Allerheiligste“, sein legendäres privates Tonstudio im Haus unter dem Dach. Sie erzählte mir von den Hauspartys, die damals das absolute Nonplusultra in Villingen waren. Es ging um Zusammenkommen, Austausch, Begegnung und Emotionen – wie heute im Franziskaner Kulturzentrum.
Noch heute bringt sich Marlies Brunner-Schwer ein. Mit ihren über 93 Jahren ist sie überall gern gesehen. Und im MPS-Studio in der Richthofenstraße 1 finden wieder Studiokonzerte statt.

Rudolf Reim und Marlies Brunner-Schwer

Ich ziehe den Hut vor der Leistung, dem Mut und dem Engagement der Familie Brunner-Schwer und den vielen Tüftlern, Entwicklern, Arbeitern, die dort gewirkt haben. Dafür steht mein Lieblingsobjekt im Franziskanermuseum, dafür steht das Sabamobil.

Rudolf Reim