Filmstill aus „Jeanne Dielman“ von Chantal Akermann, 1975, Quelle: Internet

Das Foto aus dem Film „Jeanne Dielman, 23, quai du Commerce, 1080 Bruxelles“ von 1975 zeigt eine Straße in Brüssel, nämlich den Quai du Commerce. Dieser Film, der die Adresse der Protagonistin zum Titel hat, wurde im Dezember 2022 von Filmkritikern der britischen Filmzeitschrift Sight & Sound zum „besten Film aller Zeiten“ gewählt. Er protokolliert genauestens den Alltag Jeanne Dielmans. Wer ihn sich ansieht, braucht einen langen Atem und große Aufmerksamkeit. Auf dem gewählten Ausschnitt sieht man eine Frau, die offensichtlich gerade eingekauft hat und nach Hause kommt, die Hausnummer 23 ist auffällig im Bild platziert. An den Hauseingang links schließt sich ein Schaufenster an mit einem blauen Fachhändlerschild „SABA“ unten rechts in der Ecke. Links daneben erkennt man hinter der spiegelnden Glasscheibe den Radiowecker RC11 in Weiß von SABA (1), der in roter Ausführung gerade in der Ausstellung „MYTHOS SABA“ im Franziskanermuseum präsentiert wird.

Radiowecker RC11, Privatbesitz, Foto: Michael Kienzler

Der Radiowecker im Space-Age-Design mit gerundeten Kanten erzählt von einer Moderne, wie sie auch der Film darstellt, der von einer Alleinerziehenden in Brüssel handelt, und wie sie sich ihre Existenz sichert. Das Fachhändlerschild dagegen spricht von einem Vertriebssystem, das der Vormoderne verpflichtet scheint. Hermann Brunner-Schwer, der kaufmännische Direktor der SABA, entwickelte es, als er die Betriebsleitung 1961 gemeinsam mit seinem Bruder Hans-Georg übernahm, um gegen die Konkurrenz von Versandhäusern und großen Elektro-Märkten bestehen zu können: „Die klassischen Fachhändler bekamen es mit Außenseitern zu tun, mit Discountern, Warenhäusern, Supermärkten und Rucksackgrossisten… So kam es, daß auch Pseudohändler, die weder über Ladengeschäft, Ausstellungsräume, Fachleute oder Raparaturwerkstatt verfügten, Geräte einkaufen konnten, soviel sie nur wollten. Und das zu den gleichen Konditionen, wie sie der mit hohen Raum-, Personal- und Service-Kosten belastete Fachhandel für sich in Anspruch nahm“ (2). SABA lieferte nur an Großhändler, die den Fachhandel belieferten und die Geräte mit Preisbindung verkauften. Die Großhändler durften nicht an Versand- oder Warenhäuser (s.o.) weiterverkaufen. Wurde ein solcher Fall aufgedeckt, kauften SABA-Mittelsmänner die Geräte inkognito zurück, und der Großhändler wurde von SABA nicht mehr beliefert: „Es blieb uns gar nichts anderes übrig, als die bei den Warenhäusern aufgetauchten Geräte auf schnellstem Weg herauszukaufen. Eine recht abenteuerliche und teure Übung. Aus Mitarbeitern des Außendienstes bildeten wir Stoßtrupps. Sie schwärmten auf die Warenhäuser aus und kauften die Regale leer. Weil jedes unserer Geräte mit Fabriknummern gekennzeichnet war, die in die Chassis eingestanzt waren und dieselben Nummern auch auf den Lieferscheinen oder Rechnungen erschienen, konnten wir sehr schnell die Quellen aufspüren, aus denen sich die Warenhäuser bedient hatten. Tatsächlich handelte es sich um vertragsuntreu gewordene Grossisten. Sie bekamen es nicht nur mit SABAs Rechtsabteilung zu tun, ich veranlaßte auch den sofortigen Abbruch der Geschäftsbeziehungen“ (3). Auf diese Art konnte SABA noch eine Weile relativ hohe Preise halten. SABA-Geräte umgab eine Aura von Luxus. SABA stand für technische Präzision und Qualitätsarbeit.

Diese Werbestrategie und die damit verbundende Stärkung des Fachhandels war durchaus erfolgreich, wie die Anekdote einer Pariserin vermittelt:

„SABA, das ist Qualität! Das war der Ausspruch meiner Mutter, als es darum ging, mir in den späten 70er Jahren den ersten Radio-Kassetten-Rekorder zu schenken.
Dafür kam nur SABA in Frage. Sie hatte in unserer Heimatstadt Saint-Germain-en-Laye bei Paris einen kleineren Laden ihres Vertrauens, wo sie das Gerät kaufte, das ich begeistert in Empfang nahm. Zwei Funktionen fand ich besonders gut: direkt vom Radio Lieder aufzunehmen, und mich mit diesen Stücken frühmorgens dank der Programmierfunktion wecken zu lassen – also je nach Laune Chopin, Supertramp oder Murray Head, um gut in den Tag starten zu können.
Den Radio-Kassetten-Rekorder nahm ich mit nach Deutschland, wo ich noch viele Jahre damit meinen französischen Sender hören konnte. Erst als die Smartphones aufkamen, trennte ich mich von dem SABA-Gerät, das mich von meiner Jugend bis ins reife Alter begleitet hatte! Oui, vraiment, SABA, c’est du solide!“ (4).

Auf dem Foto aus der Ausstellung „Mythos SABA“ sind u.a. auch Kassettenrecorder der 1970er Jahre zu sehen, Foto: Michael Kienzler

Auf Dauer war die Vertriebsbindung jedoch keine Lösung: „SABA versäumte es in den Jahren zuvor, sich dem Strukturwandel des Marktes anzupassen, produzierte eine zu teure Ware für einen indifferent gewordenen Markt und war dabei, sich selbst aus dem immer dynamischer werdenden Wettbewerb herauszumanövrieren“ (5). SABA bekam es auch immer wieder mit dem Kartellamt zu tun, musste seine Strategie rechtfertigen, verstärkte daraufhin seine Rechtsabteilung. Eine „Vertriebsreform“, welche die Anzahl der Grossisten nochmals rigoros verminderte und sie zur Zahlung bei Lieferung verpflichtete, brachte kurzfristig Entspannung. Letztendlich musste SABA jedoch einen großen Konzern mit ins Boot holen, um Kapital für neue Entwicklungen zu haben. Dies war die amerikanische GTE, mit der Hermann Brunner-Schwer am 26.1.1968 den Vertrag unterzeichnete – der Anfang vom Ende des Familienunternehmens SABA.

Die Firmengeschichte und Autobiographie „SABA. Bilanz einer Aufgabe“ von Hermann Brunner-Schwer liest sich streckenweise so spannend wie ein Krimi. Man merkt, wie atemberaubend schnell der Strukturwandel in der Unterhaltungselektronik in der Zeit seiner Betriebsleitung (1961-1975) vonstatten ging. Er kam mitten in einer Krise „ans Ruder“, brachte sich mit seiner ganzen Kraft, seinem Wissen und Können ein, aber es war in gewisser Weise eine aussichtslose Situation. Der Strukturwandel ließ ihn – und SABA – nicht mehr zu Atem kommen.


(1) Diesen Hinweis verdanke ich Alexander Janz.

(2) Hermann Brunner-Schwer: SABA. Bilanz einer Aufgabe, Baden-Baden 1990, S. 249. Die Probleme, die Brunner-Schwer beschreibt, sind ähnlich denen des Einzelhandels heute, der mit dem Onlinehandel konkurrieren muss.

(3) Hermann Brunner-Schwer, a.a.O., S. 251

(4) Die Geschichte stammt von Anne Laqua und wurde in der Ausstellung auf der Pinnwand für die Besucher der Ausstellung hinterlassen.

(5) Memorandum der Geschäftsleitung 1966, Hermann Brunner-Schwer, a.a.O., S. 263