„Das ist gerade der letzte Schrei“ kann die Antwort auf die verwunderte Nachfrage zu einem Kleidungsdetail sein. Aber woher kommt dieser Ausdruck? Ganz selten hört man heute noch sogenannte Kaufrufe. In meiner Kindheit rief zum Beispiel der Alteisenhändler, wenn er durch die Straßen unseres Dorfes lief, rhythmisch intonierend:  „Alteise-Lumbe, Luuumbe“. Dies teilte den Anwohnern mit, dass er Alteisen und alte Kleider („Lumpen“) einsammelte, und man diese an den Straßenrand stellen konnte. Noch in den 1990er Jahren am Strand in Südfrankreich riefen die Händler, die aus dem Bauchladen Erfrischungen anboten, ihre Waren singend aus: „boissons fraiches, chouchous, beignets“ (also: frische Getränke, Süßigkeiten, belegte Brötchen). Im 18. Jahrhundert war diese Art der Werbung der Normalfall. Kaufhäuser gab es noch nicht. Markt war auch nicht alle Tage. Der Kaufruf war die einzige Möglichkeit, auf das eigene Angebot aufmerksam zu machen, auch für Verkäuferinnen von Modewaren.  „Der letzte Schrei“ wurde so zur taufrischen modischen Neuheit.

Wie aber kommunizierte man sonst noch, was in den Modezentren getragen wurde? Die Metropolen Paris und London galten seit dem 18. Jahrhundert in Modefragen als tonangebend. Hier kam durch die Erfindung des Kupferstichs ein neues Massenmedium ins Spiel. Zuvor wurden kleine Püppchen („Mannequins“) durch ganz Europa geschickt, vor allem an die Höfe und in die großen Städte, um die Mode zu verbreiten. Mit den Modekupfern erreichte man ungleich mehr Publikum. Sie wurden in Modejournalen abgedruckt, die auch über Möbel, Lebensart und die Trageweise der neuen Mode informierten. In der wissenschaftlichen Spezialbibliothek von Stadtarchiv und Museen haben sich zwei Bände solcher Modekupfer von 1803 und 1805 erhalten. Sie zeigen die Mode des Empire, also der Zeit der Herrschaft Napoleons.

Typisch für die Empiremode waren Chemisen-, also Hemdkleider, welche die drapierte Kleidung der Römer und Griechen imitierten. Diese Kleider waren aus feinem Musselin, einem Baumwollstoff, und meist weiß, weil die antiken Statuen ohne Farbfassungen erhalten waren (neuere Forschungen gehen von einem sehr farbigen Originalzustand der Statuen aus). Tafel 10 des Bandes von 1803 zeigt ein solches Kleid mit einem braunen Dreiecktuch, wohl einem Kaschmirschal.

Costume Parisien, Journal des dames et des modes, 1803, Foto: Stadtarchiv

Da die Kleiderstoffe sehr dünn waren, erkälteten sich die Damen leicht und starben manchmal sogar an der „Musselinkrankheit“ (also einer Lungenentzündung). Ein Schal sollte das Risiko von Erkältungen vermindern. Das Franziskanermuseum zeigt ein ähnliches weißes Empirekleid mit Schleppe, allerdings aus Seide, in seiner Dauerausstellung (sog. Waisenhaus, Erdgeschoss, Vitrine um den Fahrstuhl).

Empirekleid, um 1800, Franziskanermuseum, Dauerausstellung zur Schwarzwaldsammlung, Foto: Museum

Es weist die typische hohe, unter der Brust sitzende Taille auf. Das modische Ideal in dieser Zeit waren junge, schlanke Mädchen. Die berühmte Madame Recamier, die der gleichnamigen Liege den Namen gab, war 16 Jahre alt, als sie einen Kreis junger Intellektueller um sich scharte. Nach der sehr steifen, korsettierten und mit Reifröcken versehenen Rokokomode huldigte man nach der Französischen Revolution einer natürlicheren Linie ohne Korsetts.

Der Kaschmirschal blieb übrigens noch lange in Mode. Auch im Biedermeier, also bis um 1870 trug man ihn. Dies ist der Grund, warum auch die Villinger Bürgertracht des 19. Jahrhunderts solche Schals kennt und die Alt-Villingerin oder das Morbili einen Wiener Schal tragen. Wien war eine Zeit lang Zentrum der Produktion dieser wärmenden Accessoires, von denen auch das Franziskanermuseum einige Exemplare besitzt.

Wiener Schal, Franziskanermuseum, Dauerausstellung zur Fastnacht, Foto: Museum

Eine weitere Besonderheit der Mode dieser Zeit waren Kopfbedeckungen, die das Gesicht der Trägerin vollkommen verbargen, indem die Krempen nach vorne lang ausgezogen wurden. Diese Schuten sind auf Tafel 37 von 1805 zu sehen.

Costume Parisien, Journal des dames et des modes, 1805, Foto: Stadtarchiv

Nr. 7 und Nr. 8 sind ganz oder teilweise aus Stroh wie das in der Sammlung des Franziskanermuseum erhaltene Exemplar.

Schute, in der Bildmitte, Ausstellung „Mode. Schwarzwälder und andere Hüte“, 2015, Foto: Michael Kienzler

Aufgrund dieser „Scheuklappen“ wurden ihre Trägerinnen auch als „Les Invisibles“, die Unsichtbaren, verspottet.

Costumes anglais et francais, Journal des dames et des modes, 1803, Foto: Stadtarchiv

Tafel 38 von 1803 zeigt einen weiteren „dernier cri“, ein Täschchen, das mit Zugbändern zu schließen ist und am Handgelenk getragen wird. Aufgrund seiner geringen Größe wurde es auch „Ridicule“ („lächerlich“) genannt. Während man im Rokoko Taschen in den die Hüften betonenden „paniers“ oder unter den Reifröcken verstecken konnte, war in den durchsichtigen, dünnen und körpernah anliegenden Empirekleidern kein Platz dafür. Die einer Dame unentbehrlichen Dinge – Taschentuch, Riechsalz, Puder u.ä. – wurden darin aufbewahrt. Das Franziskanermuseum hat einen solchen Beutel mit Zugschnur in Perlstrickerei in 2020 neu erworben. Er stammt aus jüngerer Zeit und ist eher gegen Ende des 19. Jahrhunderts zu datieren. Der Schmuck mit kleinen Perlen und die Form des Täschchens blieben offensichtlich sehr lange in Mode.

Täschchen, Perlstrickerei, Zugschnur, Ende 19. Jahrhundert, Franziskanermuseum, Foto: Museum

Und was trugen die Herren in dieser Zeit? Auch darüber gibt Tafel 38 Auskunft: Die jungen, modisch gekleideten „Gecken“ trugen lange Hosen („Sansculottes“) und einen vorne kurz geschnittenen Frack mit langen Schößen, darunter eine Weste, rot-weiß gestreift, und ein weißes Hemd mit fein plissiertem Jabot (Hemdbrust) und hohem Kragen. Auf dem Kopf sehen wir eine Strohzylinder, wie er auch im Schwarzwald in die bäuerliche Kleidung übernommen wurde.

Herrenhut, Strohzylinder, schwarz, 19. Jahrhundert, Dauerausstellung zur Schwarzwaldsammlung, Foto: Museum

Die Kleidung dieser jungen Männer erregte solches Aufsehen, dass sie als „Incroyables“, als die „Unglaublichen“ bezeichnet wurden. Einen etwas gediegeneren Anzug zeigt das ungefähr zeitgleiche Porträt des Ignaz Maier (1736-1825), Wirt im Villinger „Wilden Mann“ und Bürgermeister. Es hängt in der Dauerausstellung zur Stadtgeschichte des Franziskanermuseums.

Porträt Ignaz Maier, um 1800, Dauerausstellung zur Stadtgeschichte bis 1800, Foto: Museum

Maier kombiniert zum roten Rock eine weiße, reich bestickte Seidenweste, betont aber ebenfalls den Hals mit einem hochschließenden und vorne geknoteten Tüchlein. Ganz im Stil der Zeit steckt er die linke Hand in die über dem Bauch aufgeknöpfte Weste, eine Geste, die man heute mit Napoleon verbindet, aber allgemein verbreitet war, „der letzte Schrei“ eben.