Der Jahresbeginn ist eine spannende Zeit. Altes wird abgeschlossen. Neues ist noch nicht begonnen, aber alles scheint möglich. Eine besondere Neugier auf das, was da kommen mag, in 2018, liegt in der Luft. Zeit vielleicht auch, sich prinzipiell über DAS MUSEUM Gedanken zu machen? Wohin entwickelt sich dieses Medium, was ist überhaupt das spezifisch Museale oder das Besondere des „Formats“ Ausstellung, und werden wir es in Zukunft noch brauchen?
Der Trend zur Transmedialität
Es fällt auf, dass traditionelle Gattungsgrenzen aufweichen, überschritten werden. Man könnte von Transmedialität sprechen, einem Cross-over, einer Vermischung der Medien und Genres. Schon immer gab es viele Möglichkeiten, eine Geschichte zu erzählen. Eine „Handlung“, ein Plot, kann daher Grundlage für einen Film, ein Videospiel, Buch, Theater etc. werden und ganz unterschiedlich wirken. In den letzten Jahren wurden Filme als Theaterstücke (früher eher umgekehrt), Bücher als Filme (oder Theaterstücke) umgesetzt. Theater, Oper, Ballett kamen ins Kino als Live-Übertragungen aus großen Häusern der Metropolen der Welt. Aber es gibt auch mehr und mehr Hybride, also aus Verschiedenem Zusammengesetztes: Vor Jahren inszenierte Schlingensief (für die Volksbühne Berlin) ein Stück, das in einem Haus auf der Drehbühne spielte, das für das Publikum nicht einsehbar war. Kameras in den einzelnen Räumen des Hauses übertrugen die Handlung von dort auf eine Leinwand am Eisernen Vorhang (der heruntergelassen war). Das Publikum wurde aus dem Zuschauerraum auf die Bühne gebeten, die Verhältnisse wurden umgedreht: Das, was auf der Bühne geschah, wurde entweder direkt und mitspielend erfahren oder nur indirekt, medial vermittelt von den übrig gebliebenen, ausgegrenzten Zuschauern im Zuschauerraum. Im Stück „Entartete Kunst. Der Fall Cornelius Gurlitt“, das 2017 im Theater am Ring in Villingen-Schwenningen lief, wurden sehr lange Bühnen-Monologe durch Filmmusik (u.a. von Michael Nyman) untermalt und emotionalisiert. Theater rezipierte also Elemente des Films. Theater machte jedoch auch Anleihen bei der Kunst(ausstellung). Der neue Leiter der Volksbühne, Chris Dercon, inszenierte den Auftakt der Saison 2017/18 als Zwitter von Schauspiel (Samuel Beckett), Ausstellung und Performance. Der Künstler Tino Sehgal zwang die Premierengäste zur Interaktion mit seinen, spezielle Texte wiederholenden Performern. Bei den Donaueschinger Musiktagen 2017 wurde ebenfalls performt: die école de la claque von Bill Dietz verwirrte und animierte die Zuhörer mit ihren Reaktionen auf die Musik: Es wurde gebuht, gehustet, aufgestanden und demonstrativ das Konzert verlassen… Bei einer Fachtagung in Karlsruhe zur Zukunft der Geschichtsmuseen im „postfaktischen Zeitalter“ wurde von Mitarbeitern des Grafschafter Museums Moers ein Projekt zur Diskussion gestellt, bei dem die Museumsbesucher in einem „live action game“ eine Fluchterfahrung nachspielen sollten – ähnlich wie in einem Videospiel, aber in der Realität der Museumsräume. Es wurden also bekannte Formate mit anderen vermischt, was eine Potenzierung der Möglichkeiten beinhaltet. Insofern kann man den Trend zu Hybriden einerseits als eine Fortsetzung der Spaß- und Erlebnisgesellschaft der 1990er Jahre, die bekanntlich nach einer Genussmaximierung strebte, betrachten. Die Vermischung der Genres – so scheint es – ist zudem Teil einer Strategie zur Gewinnung neuer Publika: je vermischter die Formen, desto unspezifischer die Ansprache. Keiner fühlt sich mehr ausgeschlossen, im Theater, in der Oper, im Museum, wenn dort ihm bekannte Rezeptionsweisen vorherrschen.
Hybride intensivieren aber auch generell die Wahrnehmung, u.a. indem sie Brüche erzeugen und verblüffen. Dieses Verfahren kennt man als Verfremdung aus der Literatur, speziell dem Brechtschen Theater. Hinzu kommt die Anteilnahme des Publikums, das nicht mehr nur Beifall oder Missfallen kundtun soll, sondern mit-agiert und aus dieser „Partizipation“ – ein aktuelles Schlagwort im Kulturbereich – eine andere Sichtweise erfährt.
Die Tendenz zum Hybriden hat andererseits mit dem großen, auch immer preisgünstigeren Angebot technischer Möglichkeiten zu tun. Sicherlich ist durch neue Techniken erst überhaupt die Chance entstanden, diese Misch- oder Superformen zu kreieren. Umgekehrt generiert die Digitalisierung und das Internet beim Rezipienten eine passive, erfahrungsreduzierte Wahrnehmungsweise, welche aufzubrechen die Kreativen reizen könnte. So entsteht aus einer Bewegung eine Gegenbewegung und daraus wieder neue Impulse.
Die Rolle der Museen
Welche Rolle spielt dabei das Museale oder die Ausstellung? Das Ausstellen – das überlegte, absichtsvolle Darbieten von Dingen – hat bekanntlich seine Anfänge in den Konsumtempeln des 19. Jahrhunderts und den Industrie- und Weltausstellungen. Der Wechsel von der meist inhabergelenkten Bedientheke zur Selbstbedienung bedeutete einerseits für die Einkäufer / Besucher Emanzipation, weil sie sich so die Dinge selbst – im Herumflanieren, Schauen, eventuell Anfassen – aussuchen konnten. Andererseits führte das neue, nahezu unüberschaubare (Waren-)Angebot häufig zu einer Überforderung. Die Rezipienten suchten – egal ob Warenhaus oder Ausstellung – nach einer Einschränkung des Angebots. Im Medium der Ausstellung geschieht dies in Form einer „Zwangsführung“, im Warenhaus durch die Konzentration gleichartiger Produkte in Abteilungen. Hier konkurrieren die Dinge um Aufmerksamkeit. Der potentielle Käufer soll zum Konsum verführt werden. Attraktive Verpackung und effektvolle Präsentation der Produkte sind daher die Aufgaben des (Schaufenster-)Dekorateurs.
Ähnlich arbeiten eine Ausstellung und ihre Macher. Hier wird jedoch der Besucher nicht zum Kauf verführt – wenigstens nicht primär -, sondern zu Erkenntnis. Der Ausstellungsbesucher soll etwas lernen, über sich, über die Gesellschaft, über seine Geschichte. Auf Gestaltungsebene finden sich also Ähnlichkeiten zwischen Warenpräsentation und Ausstellung, in der Rezeptionshaltung jedoch weniger (daher ist u.a. die Frage nach dem Preis der Ausstellungsobjekte eine nicht gern gehörte und beantwortete).
Das Reflektieren-können, das Abschweifen, Neu- und Weiterdenken, das beliebige Pausieren hat die Ausstellung mit einer anderen Kulturtechnik, dem Lesen gemeinsam. Der Leser bestimmt das Tempo selbst. Er kann sich beim Lesen eigene Gedanken machen, kann mit dem Lesen anfangen, aufhören, wiedereinsteigen. Daher werden manche Ausstellungen (nicht unbedingt die besten) als „begehbare Bücher“ bezeichnet. Zudem gehört das Lesen der Didaktik, der Ausstellungstexte zum Ausstellungsbesuch unmittelbar dazu. Das Lesen ist meist die Voraussetzung für das Verständnis der Ausstellung. Zu diesem intellektuellen Zugang gesellen sich jedoch weitere, pädagogische und sinnliche. Typische Ausstellungsmedien sind Dioramen, Präparate (Naturkundemuseum), Versuchsanordnungen (Technikmuseum), die das Museum zum Teil mit der Schule gemeinsam hat. Filme, Musik, Licht und bühnenbildähnliche Arrangements versuchen – wie beim Warenhaus (s.o.) – eine Emotionalisierung des Ausstellungsbesuchers zu erreichen. Im Wettbewerb mit rein reproduzierenden Medien, wie Buch, Film, Internet, setzt das Museum auf den Primat, die „Aura“ des Originalobjekts, das möglichst sinnlich wahrgenommen werden soll. Daher präferiert die Kulturvermittlung neben dem Sehen auf die anderen Sinne: Hören, Riechen, Tasten, eventuell Schmecken. Die Ausstellung ist – im Vergleich mit den anderen Medien – ein „Super-Medium“, denn es gibt dem Nutzer einerseits größtmögliche Selbstbestimmung, andererseits – wenn gut gemacht – maximale Anregung und Reize.
Zwischen digitaler Erneuerung und analoger Beständigkeit
Natürlich wird diese besondere Stellung des Museums / der Ausstellung durch die Digitalisierung in Frage gestellt: Reicht es nicht, eine gut gemachte museale Webseite, ein Videospiel, das zu einem Haus entwickelt wurde, oder einen Imagefilm zu einem Museum in 360 Grad-Aufnahmen und anderen technischen Finessen anzusehen?
Trendforscher behaupten, dass nur in Verbindung mit dem Analogen das Digitale Bestand haben wird. Museen werden gebraucht als Orte des „Bedächtigen, Langsamen, Geruhsamen“, als Gegenorte zum schnellen Kommerziellen und Digitalen und als Orte der Begegnung. Daher bieten Museen zunehmend Loungebereiche für ihr Publikum an, versuchen nicht nur mit Cafés und freiem W-Lan die Aufenthaltsqualität zu verbessern (und dadurch zu verlängern), sondern durch weitere Annehmlichkeiten. Das ZKM in Karlsruhe bietet momentan im Rahmen einer Ausstellung beispielsweise kostenlos Obst für die Besucher an.
Auch das Franziskanermuseum schließt sich diesem Trend an. Das Café im Foyer ist zwar aus organisatorischen Gründen als Tagescafé geschlossen. Aber die grünen Vitra-Sofas (Foto), das freie W-Lan, die „nette Toilette“ und der stillfreundliche Ort verlocken zum Verweilen. Ein Anfang möglicher weiterer Veränderungen in 2018 wurde kurz vor Weihnachten im Eingangsbereich umgesetzt. Der Besucher wird – probeweise – von neuen Tafeln über die Laufrichtung informiert (Foto). Ein „Fischschwarm“ von Pfeilen weist nach links zur Information. Das Motto: „Kultur leben: Franziskaner erleben. Live hören. Echt sehen. Real begegnen“ wartet darauf, auch in 2018 wieder mit Leben gefüllt zu werden. Seien Sie gespannt und schauen Sie mal vorbei. Der Eintritt in die Dauerausstellungen ist seit 2016 frei.
2 thoughts on “Gedanken zu einem zeitgemäßen Museum”