Von Dr. Annemarie Conradt-Mach

Gerhard D., Jahrgang 1950, verbrachte sein ganzes Berufsleben bei der SABA. Vater, Mutter und Großvater arbeiteten schon dort und diese waren überzeugt: „Wenn du bei SABA anfängst, hast du einen Arbeitsplatz für dein ganzes Leben.“ 1965 begann er eine Lehre als Rundfunk- und Fernsehmechaniker, danach arbeitete er im Prüffeld. 1971 wechselte er in die Arbeitsvorbereitung. Gerhard D. unterbrach seine Arbeit im Unternehmen nur durch den Besuch der Technikerschule und durch die Bundeswehrzeit. Von 1976 bis 1989 arbeitete er als Arbeitsplaner und Gruppenleiter für Montage und Prüfung. In dieser Zeit allerdings wechselte die SABA den Eigentümer und sein Arbeitgeber war 1989 die EWD (Elektronik-Werke Deutschland).

Firmengebäude 1982 (Foto: Wilfried Richter)

Das Ende der SABA

Seit dem Einstieg von Thomson 1980 gab es die SABA nur noch als Vertriebsgesellschaft. Gerhard D. erklärt: „Für mich hört die eigentliche SABA mit der Einstellung der Produktion kompletter TV-Geräte 1982 auf. Wir [produzierten] [damals noch] alle Baugruppen und Teile in Villingen. Nur einzelne Bauteile wurden eingekauft. Zu Glanzzeiten fertigten wir an sieben Endmontagebändern täglich 3200 komplette Fernsehgeräte.“

„Als die Fertigungsbänder der Komplettgeräte 1982 abgebaut wurden, entstanden dort Fertigungslinien mit Automaten sowie Bänder mit automatischen Transportsystemen und automatischer Abgleichstation… Gleichzeitig wurde bei SABA/Thomson erstmals das Zweischichtsystem (6 Uhr bis 22 Uhr) eingeführt, das heißt die teuren Automaten waren nun täglich 16 Stunden in Betrieb. Die Halle erhielt ein modernes Design und Schalldämmelemente an den Decken. Diese Fertigung war das Modernste, was der Thomson-Konzern weltweit zu bieten hatte. Leider verloren durch die Automatisierung ca. 750 Mitarbeiter Ihre Arbeit.“

„Als die Bestückungsautomaten aus dem Werk 2 (TV-Werk) dann an andere Thomson-Werke verlagert werden sollten, stellten sich die Arbeiter vor die Werkstore und verhinderten für einen Tag und eine Nacht den Abtransport der Maschinen“.

Moderne Werkshallen 1981 (Foto: Eder)

Entlassungswellen

„Ich habe im Laufe der 45 Berufsjahre ca. 20 Entlassungswellen überstanden. Jedes Mal hat man befürchtet, man ist vielleicht dabei.“

1989 gelang Gerhard D. der Wechsel aus der Fernseher-Produktion im Werk 2 in den Entwicklungsbereich der Deutschen Thomson-Brandt, in das Werk 1, als Projektkoordinator für Fernsehentwicklungen.

„Bemerkenswert war dabei, dass ich bei EWD kündigen musste, obwohl wir doch zur gleichen Firma gehörten.“ Das Unternehmen war aber in verschiedene selbständige Betriebe aufgeteilt. Die Forschung und Entwicklung gehörte zu Thomson, die Produktion zu EWD. Die Arbeit in der Fertigung wurde immer weniger. „Die guten Leute sind alle abgewandert. Die EWD hatte ja eine eigene Personalverwaltung und wollte mich nicht gehen lassen. Ich musste also kündigen, um bei Thomson in der Forschung und Entwicklung wieder anfangen zu können. So bin ich dann zur Entwicklung gekommen.“

Ingenieure aus der ganzen Welt kamen in Villingen zusammen. Als SABA von Thomson 1980 übernommen wurde, brach für die TV-Entwicklung ein neues Zeitalter an. Die SABA-Entwicklungs-Ingenieure erhielten Verstärkung durch viele Kollegen aus den anderen Firmen des Thomson-Konzerns, da die Entwicklungszentrale des Konzerns in Villingen war. „Der neue Mann war Erich Geiger. Der hat ein paar Entwicklungsingenieure von SABA übernommen. Ferguson in England wurde damals zugemacht, da kamen bestimmt 30 bis 40 Ingenieure zu der Gruppe. Dann hat man die Entwicklung in Angers zugemacht. Da kamen bestimmt 40 bis 50 Franzosen. Später kamen noch Amerikaner dazu, dann Inder. Thomson war wirklich ein Multikulti-Laden. Und das hat, glaube ich, den Fortschritt gebracht,“ davon ist Gerhard D. überzeugt. „Wenn ich mich richtig erinnere, hatten wir bei Thomson 21 verschiedene Nationalitäten, alles ausgebildete Ingenieure“.

Bei Thomson wurden die Patente regelrecht „generiert“. „Das hat Geld gebracht. Der Chef war Erich Geiger. Der hat vor Ideen nur so gesprüht. Wir hatten in Donaueschingen unseren Privat-Jet. Wir sind nur mit dem Flieger zu den Besprechungen geflogen“

Panasert Bestückungsautomat 1982 (Foto Herbert Schroff)

Konkurrenzlos günstig

Die neue Fernsehelektronik ließ sich fast komplett automatisch abgleichen und stellte auch von der Anzahl der Komponenten das bisherig technisch Nötige weit in den Schatten. Thomson war damals konkurrenzlos günstig. „Diese Fernsehelektronik (Chassis) wurde in vielen Varianten für alle Konzern-TV-Firmen entwickelt und in Villingen gebaut, was die Hauptauslastung für das Villinger Werk brachte. Diese Chassis wurden nach Celle ins Telefunkenwerk, nach Bremen zu Nordmende, und nach Angers in Frankreich zum Einbau geschickt.“

Ein eindrucksvolles Erlebnis für Gerhard D. war die offizielle Einführung von HDTV in Frankreich. Thomson, damals noch französischer Staatskonzern, hatte den riesigen Saal in Paris unter „Le Grande Arche“ für ca. 3000 Personen angemietet. Auch die französische Regierung als Geldgeber war geladen. Mehrere Französische Stars waren für die Moderation vorgesehen. „Wir waren als Teil des Entwicklungsteams mit über 100 HDTV-Geräten aus Villingen sowie einem HDTV-Übertragungswagen für die Installation und Überwachung vor Ort. Die ersten Geräte waren sehr Magnetfeld-empfindlich. Als alle Geräte über kilometerlange Kabel angeschlossen waren und ein HDTV-Bild zeigten, trat plötzlich alle 11 Minuten auf allen Geräten eine massive Bildstörung auf. Und das bei der Eröffnungsveranstaltung vor 3000 Personen! Nach langem Überlegen hatten wir die Ursache lokalisiert. Einige Meter unter dem Festsaal fuhr die Metro alle 11 Minuten. Durch das von ihren Motoren und Stromabnehmern erzeugte Magnetfeld wurde die Störung verursacht. Die Lösung des Problems: Da die offizielle Einführung um 21 Uhr begann, hatten es unsere französischen Thomson-Kollegen irgendwie geschafft, die Metro auf dieser Strecke für 30 Minuten außer Betrieb zu setzen. Die Regie des Abends konnte die Auftritte der Künstler so steuern, dass diese zum Metro-Durchfahrtzeitpunkt stattfanden. Wo das nicht möglich war, haben wir vom Übertragungswagen die TV-Bilder dunkel geschaltet“.

Das letzte Fernsehgerät läuft am 1. Juli 1982 vom Band (Foto: Herbert Schroff)

Verkauf des Fernsehbereichs an die Chinesen

Thomson bestand 2004 noch aus 400 bis 500 Mitarbeitern. Man beschäftigte sich unter anderem mit Videorekorder-Entwicklung, Forschung für Speichermedien und dem großen Bereich für Fernseh-Entwicklung. Dieser wurde TCL, dem bedeutendsten chinesischen Elektronik-Konzern, angeboten. Das neue Unternehmen hieß jetzt TTE und hatte ca. 140 Mitarbeiter. Gerhard D. erinnert sich, dass er drei chinesische Manager aus Shenzhen zum Essen ausführte und ihnen die Gegend zeigte. „Da bin ich mit denen an die Kalte Herberge gefahren, da haben die Chinesen aus Shenzhen zum ersten Mal Schnee gesehen. Die haben sich alle drei im Schnee gewälzt“.

Die chinesische Verbindung ging nur zwei Jahre gut. 2007 ging TTE in die Insolvenz, da die Muttergesellschaft aus China die Gehälter nicht mehr überwies, die Innovationen abgeschöpft hatte und die Pensionskasse einbehielt.
Das Gehalt von Gerhard D. übernahm im Februar/ März 2007 der Insolvenzverwalter. Im April 2007 konnte er in Villingen zur DTO (Deutsche Thomson OHG), dem in Villingen verbliebenen Rest des Thomson-Unternehmens, wechseln und wurde Manager für Planung und Koordination. 2009 aber zog sich auch die DTO aus Villingen zurück.

Zwischen Januar 2010 und Juni 2011 wurde Gerhard D. durch die nachfolgende Auffanggesellschaft, finanziert von Thomson und dem Arbeitsamt, beauftragt, die DTO-Aktivitäten abzuwickeln und die Anlagen zu schließen. Damit wurde das Kapitel SABA in Villingen endgültig geschlossen. Das Insolvenzverfahren von TTE allerdings kam erst im November 2018 zum Ende.

Grundlage des Textes: Interview mit Gerhard D, 16. Januar 2023 und eigene Aufzeichnungen von Gerhard D. 2020.